Diskussion um Nutzen und Kosten von DiGA „Die Gesundheits-Apps stecken noch in den Kinderschuhen“

Von Natalie Ziebolz

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Zwei Jahre nach Einführung zieht der Verband der gesetzlichen Krankenkassen (GKV) Bilanz bezüglich der Nutzung von digitalen Gesundheitsanwendungen. Doch diese fällt eher durchwachsen aus. DiGA-Hersteller und der Spitzenverband Digitale Gesundheitsversorgung sehen hierin politische Motive.

Digitale Gesundheitsanwendungen (DiGA) sind „digitale Helfer“, die Patienten und Patientinnen bei der Behandung (chronischer) Erkrankungen unterstützen sollen
Digitale Gesundheitsanwendungen (DiGA) sind „digitale Helfer“, die Patienten und Patientinnen bei der Behandung (chronischer) Erkrankungen unterstützen sollen
(© xyz+ – stock.adobe.com)

Digitale Gesundheitsanwendungen sind noch nicht in der Versorgung angekommen“ – diesen Schluss zieht der GKV-Spitzenverband zwei Jahre nach dem Start der digitalen Gesundheitsanwendungen – kurz: DiGA. „Mit viel Vorschusslorbeeren sind DiGA in die Versorgung gestartet. Aber den Erwartungen sind sie bisher nicht gerecht geworden. Die Gesundheits-Apps stecken auch nach über zwei Jahren noch in den Kinderschuhen“, so Stefanie Stoff-Ahnis, Vorstand beim GKV-Spitzenverband.

Der Verband hatte zuvor einen Bericht über die Inanspruchnahme und Entwicklung der Versorgung mit digitalen Gesundheitsanwendungen (DiGA-Bericht) veröffentlicht, in dem die vergangenen zwei Jahre beleuchtet werden. Insgesamt wurden demnach bisher rund 164.000 DiGA in Anspruch genommen. Seit Anfang 2022 bewegt sich die Menge der monatlich eingelösten Freischaltcodes auf gleichbleibendem Niveau – zwischen 10.000 und 12.000 DiGA.

Nora Blum, Gründerin von Selfapy, hingegen bewertet die aktuelle Entwicklungen positiver: „Im Vergleich zum ersten DiGA-Jahr wurden im zweiten Jahr dreimal so viele DiGA verordnet“, führt sie auf. „Auch die neuste Umfrage des AOK-Bundesverbandes zeigt, dass wir auf dem richtigen Weg sind: DiGA werden häufiger weiterempfohlen und die DiGA-Therapietreue liegt weit über dem allgemeinen WHO-Durchschnitt für Dauertherapien.“ Die Weiterempfehlungsrate hängt dabei jedoch sehr von der digitalen Affinität und dem Gesundheitszustand der Nutzer ab. Während 48 Prozent der digitalen Vorreiter und 50 Prozent der Nutzer mit besserem Gesundheitszustand die genutzte DiGA weiterempfehlen würden, sind es bei den digital Aversiven nur 28 Prozent, und bei denjenigen mit schlechtem Gesundheitszustand sogar nur 21 Prozent.

Das kann natürlich auch an der mangelhaften Integration in die Behandlung liegen. So werden die DiGA zwar überwiegend von Ärzten verschrieben (68 Prozent), jedoch zeigt die AOK-Umfrage auch deutlich, dass die Patienten von diesen nicht ausreichend über deren Funktionen informiert werden (37 Prozent). Auch eine Auswertung des Nutzungsverhaltens sowie der Resultate der Nutzung durch den behandelnden Arzt gab es bei 44 Prozent der Befragten nicht. Da ist es nicht verwunderlich, dass auch die Zufriedenheit mit den Anwendungen eher durchwachsen ausfällt: Als unverzichtbar wird die ergänzende Therapie mit DiGA nur von 26 Prozent der Patienten angesehen, weitere 23 Prozent sehen sie nur zum Teil als unverzichtbar. Knapp ein Fünftel der Befragten hatte zudem Probleme bei der Umsetzung der digitalen Therapieinhalte, weitere 28 Prozent gaben an, sie hätten teilweise Probleme gehabt. Für immerhin 15 Prozent der Versicherten passten die Inhalte darüber hinaus nicht zu ihrer individuellen Krankheitssituation. „Die Ergebnisse spiegeln wider, dass die genutzten DiGA nicht immer dem Bedarf und den Bedürfnissen der Versicherten entsprechen. Herkömmliche Therapien vor Ort wie beispielsweise die Physiotherapie bei Rückenbeschwerden sind in vielen Fällen die bessere Wahl – und verursachen für die Beitragszahlenden weniger Kosten als eine DiGA-Verordnung“, folgert AOK-Vorständin Reimann.

Zu teuer und nutzlos?

Damit kommt die AOK in ihrer Umfrage zu ähnlichen Schlüssen wie auch der GKV-Spitzenverband. „Die unverändert hohe Quote von DiGA auf Probe zeigt, dass oftmals noch offenbleibt, was die Angebote wirklich bringen. Trotz dieser unklaren Evidenzlage rufen die herstellenden Unternehmen beliebig hohe Preise auf und der gesetzlichen Krankenversicherung sind im ersten Jahr bei dieser Preisspirale nach oben die Hände gebunden“, so Stoff-Ahnis.

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Seit September 2020 wurden insgesamt 36 Anwendungen aufgenommen. Drei davon wurden zwischenzeitlich wieder gestrichen, sodass aktuell 33 Anwendungen im DiGA-Verzeichnis des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) gelistet sind – 27 Anwendungen jedoch zunächst auf Probe. Diese konnten mit der Aufnahme noch keine positiven Versorgungseffekte nachweisen, heißt es in dem DiGA-Bericht. Das Problem laut GKV ist dabei, dass gerade in den ersten zwölf Monaten, in denen der Nutzennachweis eben noch nicht erbracht werden muss, die Preisgestaltung frei ist. Das führt dazu, dass sich im Verzeichnis DiGA mit einem einmaligen Preis von 119 Euro, aber genauso Anwendungen mit einer 90-Tage-Lizenz für 952 Euro finden. Im Durchschnitt liegen die Preise bei fast 500 Euro für ein Quartal. „Damit sind die von den Herstellern im ersten Jahr beliebig festgelegten Preise gegenüber dem Vorjahr nochmals deutlich angestiegen. Sie stehen zudem in keinem Verhältnis zur Vergütung einer konventionellen (z. B. ambulanten ärztlichen) Versorgung und übersteigen diese um ein Vielfaches“, so die Autoren.

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DiGA-Leitfaden fordert Nutzennachweis

Der Spitzenverband der Digitalen Gesundheitsversorger widerspricht dieser Darstellung jedoch: „Der aktuelle DiGA-Report des GKV-SV weist eine politisch motivierte Interpretation von Daten aus und dient dem Ziel, enger in den Zulassungsprozess von DiGA eingebunden zu werden“, so die Geschäftsführerin Dr. Anne Sophie Geier. Nora Blum konkretisiert hier noch: „Es ist schlichtweg nicht richtig, dass DiGA in der Erprobung keinen Nutzennachweis erbringen müssen, um gelistet zu werden. Sämtliche DiGA, die vom BfArM in das DiGA-Verzeichnis aufgenommen werden, müssen einen Nutzennachweis erbringen.“ Die Anforderungen an diesen seien sogar „sehr hoch“, das zeige auch die große Anzahl an zurückgezogenen und abgelehnten DiGA-Anträgen. 80 Prozent gingen auf nicht erbrachte Evidenz zurück.

Klinische Evidenz überzeugt Ärzteschaft

Bei Ärzten und Ärztinnen steigt die Akzeptanz für digitale Gesundheitsanwendungen laut der Studie „Ärztinnen und Ärzte im Zukunftsmarkt Gesundheit 2022“ deutlich. Über ein Drittel der ambulant Tätigen haben entsprechende Anwendungen bereits verschrieben, 13,9 Prozent wollen dies zudem in nächster Zeit tun. Im Vergleich zum Vorjahr ist so auch der Anteil der Ärzte, die ausdrücklich keine DiGA verschreiben wollen, von 55 auf 34,7 Prozent gesunken.
Überzeugen lassen sich die Befragten dabei von der klinischen Evidenz (66,4 Prozent), aber auch die sich wandelnden Bedarfe der Patienten (49,1 Prozent) und die gestiegene Vertrautheit mit digitalen Diagnostika beziehungsweise Therapeutika (47,1 Prozent) wirken sich positiv aus.
Als besonders wirksam erachten die befragten Leistungserbringer die digitalen Anwendungen dabei im somatischen Bereich, etwa in Form einer Tagebuchfunktion (73,6 Prozent). Auch Apps zum Aufzeichnen von Vitalparametern (71,8 Prozent) oder zur Verhaltenskontrolle (69,2 Prozent) befürwortet die Ärzteschaft. Zum Einsatz kommen DiGA jedoch am häufigsten bei psychischen Indikationen. „Das legt nahe, dass die für diesen Bereich angebotenen Apps die vorhandenen Bedarfe derzeit besser abdecken als im somatischen Bereich“, so Prof. Dr. med. Dr. rer. pol. Konrad Obermann, Forschungsleiter der Stiftung Gesundheit.

Ärztinnen und Ärzte im Zukunftsmarkt Gesundheit 22

Genau genommen sieht der DiGA-Leitfaden nämlich vor, dass DiGA-Hersteller, die einen Antrag auf Erprobung stellen, plausibel darlegen müssen, „dass die DiGA für eine bestimmte Patientengruppe einen oder mehrere pVE erzielen kann“. Dafür wird die Vorlage einer systematischen Auswertung von Daten zur Nutzung der DiGA gefordert. „Die systematische Datenauswertung umfasst neben einer systematischen Literaturrecherche und -bewertung auch den Einschluss eigener systematisch ausgewerteter Daten, die in der Anwendung der DiGA gewonnen wurden. Die Auswertungen sollen erste Anhaltspunkte liefern, die im Rahmen der Erprobung durchzuführende Studie vorbereiten und neben den Interventionseffekten, die gezeigt werden sollen, beispielsweise auch Fallzahlen, Messinstrumente, Rekrutierungsmethoden und andere relevante Fragestellungen adressieren“, so der DiGA-Leitfaden.

Und auch bei den Kosten kann Blum die Kritik nicht nachvollziehen: „DiGA-Hersteller legen keine beliebig hohen Preise fest, denn es gibt definierte Höchstbeträge pro Indikationsgebiet. Diese Höchstbeträge hat der GKV-SV im Übrigen mit verhandelt. Gleiches gilt für die Vergütungsbeträge, die rückwirkend ab dem 13. Monat der Listung gelten“, erklärt sie.

Digitale Pflegeanwendungen als Vorbild?

Wie soll es also weitergehen? Der GKV-Spitzenverband fordert eine Anpassung der gesetzlichen Rahmenbedingungen: Einerseits sollen künftig nur noch DiGA „mit einem klaren medizinischen Nutzen für Patientinnen und Patienten“ in das Verzeichnis aufgenommen werden. Andererseits fordert der Verband „das Gebot der Wirtschaftlichkeit“ zu wahren, „indem die verhandelten Preise vom ersten Tag der Aufnahme in die Regelversorgung gelten“. Zudem sollten die Rahmenbedingungen für DiGA mit anderen GKV-Leistungsbereichen harmonisiert werden, „indem die Leistungserbringenden und der GKV-Spitzenverband in den Zulassungsprozess mit einbezogen werden“. So würden die Rahmenbedingungen für die DiGA denen der digitalen Pflegeanwendungen ähneln. Blum sieht diesen Schritt skeptisch: „Die Möglichkeit, als DiGA auch vorläufig zur Erprobung aufgenommen zu werden, wurde vom Gesetzgeber ja nicht grundlos implementiert, sondern hat endlich zu der benötigten Beschleunigung in der Erstattung von digitalen Lösungen geführt“, gibt sie zu bedenken. Und auch der Verband betont: „Viel wichtiger als Machtpolitik sollte es jetzt sein, gemeinschaftlich einfache Zugänge für Patienten und eine zukunftsfähige Integration in die Versorgung zu schaffen.“

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