Krankenhauszukunftsgesetz (KHZG) Digital integrierte Gesundheitsversorgung beginnt jetzt

Von Dr. med. Carol Wildhagen

Drei Monate nach Ende der Einreichungsfrist für das Krankenhauszukunftsgesetz scheinen die Antragsbewilligungen mancherorts ins Stocken zu geraten. Krankenhäuser hingegen erfahren zunehmend, dass sie bei der strategischen Planung und Umsetzung der geforderten Digitalisierungsmaßnahmen vor weit größeren Herausforderungen als dem Abhaken definierter Muss-Kriterien stehen. Dr. med. Carol Wildhagen erläutert in ihrem Gastbeitrag, warum es sich lohnt, digitale Versorgung genau jetzt mit Weitblick anzugehen. Die Ärztin ist Deutschland-Geschäftsführerin des Telemedizinanbieters 24Health.

„Eine digital integrierte Versorgung ist dank des KHZG auch in Deutschland keine weit entfernte Zukunftsmusik mehr“, meint unsere Gastautorin Dr. Wildhagen
„Eine digital integrierte Versorgung ist dank des KHZG auch in Deutschland keine weit entfernte Zukunftsmusik mehr“, meint unsere Gastautorin Dr. Wildhagen
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Spätestens seit Mitte letzten Jahres ist die Aufmerksamkeit von Krankenhäusern und Kliniken für eine digital integrierte Gesundheitsversorgung geschärft: Das Bundesgesundheitsministerium treibt mit dem Krankenhauszukunftsgesetz (KHZG) eine Digitalisierung unter den stationären Versorgern voran. Dazu wurden mehr als vier Milliarden Euro von Bund und Ländern an Fördermitteln bereitgestellt. Krankenhäuser bekommen so die Chance, die gewünschte Digitalisierung umzusetzen. Eine Anwendungsstudie der Unternehmensberatung Roland Berger kam 2017 bereits zu dem Ergebnis, dass sich eine Vielzahl an Klinikärztinnen und -ärzten das digitale Krankenhaus 4.0 wünscht. Bisher fehlte es jedoch vor allem an finanziellen Mitteln und passenden Angeboten.

Nahezu komplettes Budget beantragt

Gemäß KHZG müssen bis 2025 unter anderem folgende Dienste eingeführt sein: Patientenportale, welche die Durchführung einer digitalen Anamnese oder die Vereinbarung von Terminen online ermöglichen. Dazu eine digitale Behandlungsdokumentation, ein digitales Entscheidungs-Unterstützungs-System und ein digitales Leistungsmanagement. Die gute Nachricht: Fast das komplette Budget von 4,3 Mrd. Euro wurde von Kliniken beantragt.

Doch drei Monate nach Ende der Einreichungsfrist scheint es, als wurde das Tempo aus dem Vorhaben genommen: Aktuell warten rund 1.000 Anträge auf ihre Bewilligung, um die gesetzlich verpflichteten Patientenportale ausschreiben zu können. Bis 2025 müssen alle Häuser die verpflichtenden Fördertatbestände integriert und umgesetzt haben, sonst drohen Sanktionen.

Zudem wird in persönlichen Gesprächen deutlich, dass die Förderkriterien nicht ausreichend klar formuliert sind, damit Klinikentscheider abwägen können, wohin die Reise langfristig gehen soll. Gleichzeitig sind die Anforderungen an Lösungen wie ein Patientenportal sehr individuell. Wichtig ist daher, zu schauen, dass sie wertgenerierend für das jeweilige Krankenhaus einsetzbar sind.

Daher reicht es nicht aus, einen Haken an definierte Muss-Kriterien zu setzen. Vielmehr brauchen Krankenhäuser ein klares Bild, wo sie Effizienzen steigern können, wollen und müssen, und wie digitale Anwendungen zukünftig miteinander verknüpfbar sind. Denn nur dann lässt sich in Zukunft eine digital integrierte Krankenhausversorgung sicherstellen, die Versorgungsqualität und Wirtschaftlichkeit in Einklang bringt.

Ein Patientenportal dient als Schnittstelle zwischen Klinik und Patient. Es soll die Bereiche und Wege von Erkrankten digitalisieren, die sich sinnvoll digitalisieren lassen. Mit dem Ziel, Zeit für Administration, Verwaltung, Dokumentation oder auch unnötige Konsultationen einzusparen und dorthin zu lenken, wo es mehr Zeit braucht: in den Behandlungsraum und in das Miteinander von medizinischem Personal und den Patientinnen und Patienten.

Die Patientenportale müssen bestmöglich in das bestehende IT-System integriert werden. Eine der größten Sorgen ist erfahrungsgemäß, dass neu implementierbare Anwendungen nicht mit dem bestehenden IT-System kompatibel sind. Dies würde dazu führen, auch zukünftig vor einer fragmentierten, wenngleich digitalisierten, Krankenhauslandschaft zu stehen. Es ist essentiell, dass das Zusammenspiel der digitalen Anwendungen langfristig betrachtet wird. So stehen auch Anbieterinnen und Anbieter in der Verantwortung, eine einfache, bewährte und kompatible Lösung bereitzustellen.

Digital-Vorbild Schweden

Schweden gilt neben Estland und Dänemark als einer der Vorreiter in Sachen digital integrierte Gesundheitsversorgung in Europa. Seit 2016 werden digitale Versorgungsmaßnahmen effektiv umgesetzt: Elektronische Patientenakte und elektronisches Rezept sind seit der Digitalisierungsoffensive integriert und sorgen für eine effizientere intersektorale Kommunikation und schnellere Rekonvaleszenz. Die Vorteile einer digital integrierten Versorgung sprechen für sich. Kennzahlen von 24Health zeigen: Bis zu 20 Prozent der Patientinnen und Patienten benötigen dank des „Digital first“-Ansatzes keinerlei menschliche Interaktion, weitere 30 bis 40 Prozent können vollständig digital via Chat und Video versorgt werden.

Im Hinblick auf den Verwaltungsaufwand spart das medizinische Personal im Schnitt vier bis acht Minuten pro Patient und Patientin. Diese hingegen profitieren unter anderem von mehr Eigenverantwortung und Teilhabe sowie geringeren Wartezeiten. Es geht nicht allein darum, weniger Erkrankte physisch zu versorgen, sondern die wirklich notwendigen Fälle, die einer stationären Versorgung bedürfen, effizient zu lenken und zu versorgen.

24Health

Das Unternehmen 24Health mit Deutschland-Sitz in München ist ein Anbieter von cloudbasierten SaaS-Lösungen im Gesundheitsbereich. Das Unternehmen wurde 2016 in Schweden gegründet.

Nach eigenen Angaben hat es sich seither im skandinavischen Raum zum größten Telemedizin-Anbieter entwickelt und stellt in Schweden die telemedizinische Infrastruktur für ganze Gesundheitssysteme: 80 % der privat Versicherten und 50 % der gesetzlich Versicherten nutzen demnach diese digitale Plattform. Pro Monat finden laut 24Health über 500.000 digitale Patientenkontakte statt.

Großen Mehrwert bieten dabei neben einer nutzerfreundlichen, zentralen, digitalen Eingangstür zur gesamten Versorgung, die digitale Anamnese und Triage. Während der Begriff in Deutschland weiterhin negativ konnotiert bleibt, führt Schweden regulär basierend auf bestehenden medizinischen Behandlungsstandards digitale Anamnesen inklusive Ersteinschätzung durch, um Erkrankte zu der für sie richtigen Versorgungsstufe zu lotsen. Eine Triage heißt nämlich nicht, dass bestimmte Fallgruppen eine geringere Chance auf eine angemessene Behandlung haben – vielmehr geht es um eine neutrale Bedarfseinschätzung.

In der Konsultation stehen dem Arzt oder der Ärztin etwa acht Minuten für jede Patientin und jeden Patienten zur Verfügung. In dieser Zeit müssen sie das Anliegen verstehen, die Symptomatik erfassen, Zuwendung leisten und eine geeignete Therapieform entwickeln. Digitale Lösungen bieten die Chance, die Schritte zu digitalisieren, die digital sein können – und so letztlich mehr Zeit für die Patientinnen und Patienten zu schaffen, die auch tatsächlich auf die persönliche ärztliche Versorgung und Fürsorge angewiesen sind.

Eine digital integrierte Versorgung ist dank des KHZG auch in Deutschland keine weit entfernte Zukunftsmusik mehr. Krankenhäuser haben es jetzt selbst in der Hand, das Potenzial der Fördertatbestände für sich vollends zu entfalten und mit Blick nach vorne eine digital integrierte Versorgung zu gestalten, die auf ihre Anforderungen und Bedürfnisse einzahlt und Mehrwert für alle Seiten schafft.

Die Autorin: Dr. med. Carol Wildhagen
Geschäftsführerin von 24Health GmbH

Bildquelle: 24Health GmbH

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