Zettelwirtschaft im Gesundheitswesen Zu verbrauchen bis ... ?

Von Chiara Maurer

Anbieter zum Thema

Wie steht es um die Digitalisierung in der Gesundheitsversorgung? Um diese Frage zu beantworten, haben Bitkom und Hartmannbund eine Umfrage durchgeführt und Mediziner darin um ihre Einschätzung der Chancen und Fallstricke der Digitalisierung gebeten.

Rund 500 Mediziner gaben ihre Stimmen bei der Umfrage des Bitkom und des Hartmannbundes ab
Rund 500 Mediziner gaben ihre Stimmen bei der Umfrage des Bitkom und des Hartmannbundes ab
(© Rostislav Sedlacek – stock.adobe.com)

Die Digitalisierung im Gesundheitswesen hat zahlreiche Facetten – ob Virtual Reality im Operationssaal, Videosprechstunden oder die Nutzung der elektronischen Patientenakte (ePA). Eine Umfrage des Digitalverbands Bitkom und dem Hartmannbund – Verband der Ärztinnen und Ärzte Deutschlands zeigt nun, dass ein Großteil der Mediziner die Chancen der Digitalisierung erkennt. 76 Prozent und damit 9 Prozentpunkte mehr als noch vor zwei Jahren, gaben an, die Digitalisierung als Chance zu sehen. Nur noch 22 Prozent sehen sie als Risiko. Dennoch hinkt Deutschland, nach Einschätzung von 78 Prozent der Befragten, im Vergleich zu anderen Ländern hinterher. Warum ist das so?

Die Ärzteschaft bemängelt vor allem, dass die digitale Medizin schneller ausgebaut werden muss. 67 Prozent erkennen hier Nachholbedarf. Auch sei das Gesundheitssystem zu komplex, wie 91 Prozent der Befragten angeben. Besonders die lästige Zettelwirtschaft und die größtenteils noch immer analogen Vorgänge sowohl in Kliniken als auch in Praxen, werden hier als Hindernis angesehen.

Weiterer Hemmfaktor: der Rollout digitaler Anwendungen. Dieser könne oftmals aufgrund sehr langer Zertifizierungs- und Genehmigungs-Verfahren erst sehr spät stattfinden (80 Prozent), dennoch würden zahlreiche Anwendungen oft schon zu früh auf den Markt gebracht (80 Prozent). Dr. Klaus Reinhardt, Vorsitzender des Hartmannbundes, dazu: „Leider fehlt es hier an Zielgenauigkeit – digitale Angebote müssen zudem konsequenter am Nutzen beziehungsweise an den Interessen von Patienten und Ärzten ausgerichtet sein. Das sollte oberste Priorität haben.“

Zudem wird eine zu strenge Auslegung des Datenschutzes von 69 Prozent der Ärzteschaft bemängelt und auch mangelhafte digitale Kompetenzen der Beteiligten legen der Digitalisierung scheinbar noch immer Steine in den Weg. So schätzen 58 Prozent der Ärzteschaft fehlende Kompetenzen der Patienten als Hindernis ein. Wissenslücken bei Ärzten sind nach Meinung von 46 Prozent der Befragten, Grund für das nur stockende Vorankommen. Und auch Bitkom-Hauptgeschäftsführer Dr. Bernhard Rohleder erkennt hier Nachholbedarf. Dennoch sei das Pferd von vielen Stellen aufzuzäumen. Schließlich müssten auch die momentan genutzten Anwendungen verbessert werden, denn „Technik ist dann besonders gut, wenn man keine besonderen Kompetenzen benötigt“.

Keine Spaltung der Ärzteschaft

Die Einsatzbereiche und Wünsche nach digitalen Technologien in Kliniken und Praxen gehen teilweise weit auseinander. So geben 71 Prozent der Krankenhäuser an, bereits WLAN für Patienten bereitzustellen; bei den Praxen sind es lediglich 21 Prozent. Eine logische Erklärung dafür hat Bitkom-Präsident Rohleder: Schließlich verbrächten Patienten in Kliniken tendenziell mehr Zeit als in einer Arztpraxis.

Auch Klaus Reinhardt ist es wichtig, hier Klarheit zu schaffen. Zwar sei die Nutzung digitaler Angebote bei niedergelassenen Ärzten derzeit noch zurückhaltend, jedoch hätten Ärzte in Krankenhäusern und Arztpraxen ganz unterschiedliche Herausforderungen und Bedarfe. Zudem seien in Niederlassungen, Bereitstellung und Instandhaltung von IT noch Sache des Arztes selbst. In Kliniken sind die Zuständigkeiten hingegen mittlerweile auf andere Bereiche verteilt worden. Deswegen Reinhardt weiter: „Von einer Spaltung der Ärzteschaft zu sprechen, wäre falsch.“

Auf der nächsten Seite: Cybersicherheit & Faxgerät.

Keine Sicherheit, keine Digitalisierung?

Verbunden werden Ärzte in Kliniken und Praxen wiederum durch die Sorgen um ihre Cybersicherheit. 66 Prozent der Ärzteschaft im Krankenhaus haben Angst vor Cyberangriffen auf Krankenhäuser. Unter den niedergelassenen Ärzten ist die Sorge vor Attacken auf Praxen mit 83 Prozent noch größer. Und die Sorgen scheinen nicht ganz unberechtigt; immerhin gaben 74 Prozent der Mediziner im Krankenhaus an, deutsche Kliniken seien ihrer Einschätzung nach nicht ausreichend vor Angriffen dieser Art geschützt. Mehr als zwei Drittel (69 Prozent) sind deswegen der Meinung, Mediziner sollten sich stärker mit IT-Sicherheit befassen. Dabei zeigt die Umfrage, dass bereits 42 Prozent der befragten Ärzte an Krankenhäusern regelmäßig zum Thema IT-Sicherheit geschult werden.

Und auch in den Praxen ist der Wunsch groß, dass Ärzte sich mehr mit IT-Sicherheit beschäftigen (68 Prozent). Dass bereits 75 Prozent der Ärzte hier über die eigene IT-Sicherheit Bescheid wissen, erklärt Rohleder folgendermaßen: „IT-Sicherheitsstandards sind gesetzlich sowohl für Krankenhäuser als auch für Arztpraxen jeglicher Größe geregelt. Die Umsetzung dieser Vorgaben wird offenkundig sehr ernst genommen.“ Dabei gehe es jedoch nicht nur darum, Geräte- und Betriebsausfälle zu vermeiden, sondern auch um den Schutz sensibler Patientendaten. Im internationalen Vergleich seien diese Daten jedoch herausragend gut geschützt.

Jetzt Newsletter abonnieren

Wöchentlich die wichtigsten Infos zur Digitalisierung im Gesundheitswesen

Mit Klick auf „Newsletter abonnieren“ erkläre ich mich mit der Verarbeitung und Nutzung meiner Daten gemäß Einwilligungserklärung (bitte aufklappen für Details) einverstanden und akzeptiere die Nutzungsbedingungen. Weitere Informationen finde ich in unserer Datenschutzerklärung.

Aufklappen für Details zu Ihrer Einwilligung

Doch gerade diesen Umstand erachten 71 Prozent der befragten Mediziner als problematisch. Sie geben an, dass die strengen Datenschutz-Vorgaben oftmals den medizinischen Fortschritt erschweren, weshalb über die Hälfte (54 Prozent) der Meinung sind, der Datenschutz solle weniger streng ausgelegt werden, um so den Gesundheitsschutz zu verbessern. 61 Prozent sehen in der Bereitstellung von Gesundheitsdaten für die Forschung sogar eine ethische Verpflichtung. So erkannte auch Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach bereits: „Der Patientenschutz kann im Extremfall bedeutsamer sein als der Datenschutz“, wie er bei einer Veranstaltung des Aktionsbündnis Patientensicherheit anlässlich des Tags der Patientensicherheit betonte.

Eine weltweite Studie von SOTI liefert ähnliche Ergebnisse. Demnach haben 90 Prozent der IT-Fachkräfte in Deutschland Sicherheitsbedenken in Hinblick auf die Patientendaten. Sie geben an, dass sie die Daten insbesondere durch einen Diebstahl durch einen Cyberangriff oder Hacking (41 Prozent), durch die Weitergabe ohne Zustimmung des Patienten (35 Prozent) und durch Verlust (33 Prozent) bedroht sähen. Die aktuelle Bedrohungslage sei sogar so brisant, dass drei Viertel der Fachleute denken, dass Patientendaten so stark gefährdet seien wie noch nie zuvor.

Laut Bitkom-Präsident Rohleder sei es entscheidend, eine Balance zu finden, die es erlaubt, Gesundheitsdaten für notwendigen Stellen und die Forschung bereitzustellen und zeitgleich die Patientensicherheit zu wahren. Momentan sei die „Therapie von der Stange“ wie eine Krankheit im Gesundheitswesen. Doch Behandlungen müssten individuell auf die Menschen angepasst werden. Gesundheitsdaten, die dem zur Verfügung gestellt werden, der sie braucht, seien ein erster Schritt in diese Richtung: „Die Nutzung von Gesundheitsdaten ermöglicht eine verbesserte und schnellere Entwicklung von Therapien, Medikamenten und Untersuchungsmethoden, was Millionen Menschen unmittelbar helfen wird – nicht zuletzt bei der Bekämpfung seltener Krankheiten oder der Bewältigung globaler Pandemien.

Deutschland macht Faxen

Ein großes Manko beim Thema Digitalisierung bleibt zudem die Kommunikation zwischen Medizinern und Patienten. Diese erfolgt in allen Einrichtungen noch größtenteils analog. Während die meisten Mediziner für den Austausch mit Praxen (83 Prozent), Kliniken (80 Prozent) und Patienten (86 Prozent) noch zum Hörer greifen, finden Internetportale, Messenger- und KIM-Dienste bisher nur sehr wenig Anklang. Häufigste Alternative zum Telefon für die Kontaktaufnahme mit Praxen und Kliniken ist das Fax-Gerät mit jeweils 63 Prozent und 57 Prozent, vor Briefen (in beiden Einrichtungen 47 Prozent). Der regste eMail-Verkehr findet mit Patienten statt (39 Prozent). Zwischen Praxen (30 Prozent) und Kliniken (24 Prozent) wird diese Technologie seltener genutzt.

Auf der nächsten Seite: eRezept, ePA & Fazit.

„Da muss man sich fragen: Warum?“

Größtenteils analog und in Papierform bleiben zudem Rezepte. Nur ein Prozent der Befragten gaben an, regelmäßig elektronische Rezepte (eRezept) auszustellen, weitere vier Prozent tun dies vereinzelt. Zwar haben 57 Prozent das eRezept noch nicht genutzt, können sich dies aber in Zukunft vorstellen; dennoch lehnen 18 Prozent die alternative zum klassischen Rezept kategorisch ab.

Bitkom-Präsident Rohleder zeigt sich von den Ergebnissen schockiert. Bei solchen Zahlen müsse man sich doch fragen, woran das liegen könne, schließlich würden künftig alle Verordnungen ausschließlich digital erstellt werden. Rohleder appelliert deswegen: „Der Rollout des eRezepts sollte jetzt zügig erfolgen“.

Ähnlich steht es um die elektronische Patientenakte. Lediglich sechs Prozent der Ärzteschaft haben schon mal die ePA genutzt. Die Gründe, warum dies nicht getan wird, gehen dabei weit auseinander. Während 29 Prozent die benötigte technische Ausstattung fehlt, lehnen 18 Prozent die elektronische Akte schlichtweg ab. Weitere 13 Prozent verzichten auf das Angebot, da ihre Patienten dies nicht wünschen und 20 Prozent nennen sonstige Gründe. Rohleder kommentiert die Zahlen kritisch. Die ePA sei das Kernstück der Digitalisierung im Gesundheitswesen und ihre Einführung solle beschleunigt werden, jedoch seien die Hürden zur Beantragung und der Nutzung zu hoch. Zudem weisen nur 14 Prozent der Ärzte ihre Patienten aktiv auf die elektronische Patientenakte hin.

(K)eine Chance für die Digitalisierung?

Der Vorsitzende des Hartmannbundes Reinhardt, steht den Ergebnissen der Umfrage grundsätzlich positiv gegenüber – zeigten sie doch, dass die Digitalisierung als Chance zur Verbesserung der Versorgung von Patienten begriffen würde. Sie legten allerdings auch offen, dass sich niedergelassene Mediziner alleine gelassen fühlen. „Die Mediziner betrachten die Digitalisierung als großen Mehrwert in der Versorgung. Allerdings müssen die medizinischen, administrativen und wirtschaftlichen Voraussetzungen stimmen. Die Grundlagen dafür können nur von Politik, Ärzteschaft und der Industrie gemeinsam gelegt werden.“

Bitkom-Hauptgeschäftsführer Dr. Bernhard Rohleder resümiert: „Die Corona-Pandemie hat eindrücklich gezeigt, dass Zettelwirtschaft und analoge Verfahren ein Verfallsdatum haben.“

(ID:48662159)