Mit Apps gegen den digitalen Stress Wie kann künstliche Intelligenz dabei helfen, gegen Stress und Burnout vorzugehen?
Mit Apps den Arbeitsstress besiegen – geht das? Und wenn ja, wie?
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Junge Arbeitnehmer sind zunehmend gestresst. Eine eMail nach der anderen und immer straffere Deadlines. Erreichbarkeit wird immer und überall vorausgesetzt. Ständig muss umorganisiert werden und viele Projekte sind nur durch Überstunden und Wochenendarbeit stemmbar. Kein Wunder also, dass Experten von einer zunehmenden Entgrenzung sprechen.
Entgrenzung heißt so viel wie: Die Grenze zwischen Berufs- und Privatleben verschwimmt zunehmend, das Berufliche nimmt einen immer größeren Stellenwert ein. Ein Beispiel: Wenn wir vor 20 Jahren den PC im Büro heruntergefahren und das Büro verlassen haben, hatten wir Feierabend. Es gab keine Verbindung, kein Smartphone, kein Remote Work, ja vielleicht noch nicht einmal ein Handy, auf dem Kollegen oder Vorgesetzte uns erreicht hätten. Egal, was das Problem war, es musste bis morgen warten.
Diese Grenze war einfach da. Heute ist sie das nicht mehr. Uns erreichen alle Nachrichten und können zu jeder Zeit einen Trigger im Gehirn auslösen. Ein Mitarbeiter, der die Benachrichtigung auf seinem Telefon sieht, müsste jetzt bewusst die Entscheidung treffen, nicht darauf zu reagieren. Und meist tun wir das gerade nicht.
Laut einer aktuellen Studie leidet jeder fünfte deutsche Arbeitnehmer unter digitalem Stress im Job. Dies hat nicht nur gesundheitliche Folgen für Arbeitnehmer, sondern auch finanzielle Folgen für Arbeitgeber. Denn 15 Prozent aller Fehltage in Deutschland im Jahr 2018 sind auf psychische Leiden wie Stress, Burnout oder Depression zurückzuführen.
Gesundheitliche Folgen von Stress auf Arbeitnehmer
Stress ist eigentlich eine natürliche Reaktion auf eine Gefahrensituation. Das Hormon Cortisol wird in akuten Gefahrensituationen ausgeschüttet und ermöglicht eine schnelle Reaktion (Fight-or-Flight). Im heutigen, digitalen Zeitalter stellen beispielsweise eine neue, kurze Deadline, zusätzliche Aufgaben und ständige eMail-Benachrichtigungen eine dauerhafte „wahrgenommene“ Gefahr da.
Kurz: Unser Körper steht dauerhaft unter Strom und kann sich nicht ausreichend erholen. Ein langanhaltend hoher Cortisol-Spiegel im Blut ist ungesund. Er kann zu erhöhtem Blutdruck, Osteoporose, depressiven Verstimmungen, aber auch zu Gewichtszunahme führen. Denn Cortisol hemmt beispielsweise auch die Fettverbrennung – denn die Energie wurde in physischen Gefahrensituationen für die Flucht oder den Kampf benötigt. Diese körperlichen Folgen werden oft nicht als direkte Folge von Stress erkannt, weder von unserer Umgebung noch von uns selbst. So ergab eine DAK Umfrage, dass die Ursachen von Übergewicht meist bei der Person selbst vermutet werden.
Zu dem ungesunden Stress und seinen seelischen und körperlichen Folgen kommt dann noch dazu, dass Menschen mit Übergewicht oder auch stressbedingten Erkrankungen wie Burnout aufgrund von Vorurteilen gemieden werden. Dies kann im persönlichen Leben aber auch im Arbeitskontext zu Ausgrenzung, sozialer Isolierung und zusätzlichem Stress führen.
Was können Arbeitgeber tun, um die Gesundheit ihrer Arbeitnehmer zu fördern?
Zunächst einmal sollte festgehalten werden, dass Stress eine Coping-Strategie unseres Körpers ist. Mit dieser reagieren wir auf äußere Bedingungen. Es ist völlig in Ordnung und im Arbeitsleben normal, dass es nötig ist, den wichtigen Report über das Wochenende zu Hause fertigzustellen. Auf Dauer führen diese verkürzten Erholungsphasen jedoch dazu, dass wir immer weniger leistungsfähig werden. Viele Arbeitgeber sind bereits soweit, dass sie in die betriebliche Gesundheitsförderung investieren. Dies beschränkt sich weitestgehend auf Sportangebote oder gesundes Mittagessen. Was aber gerade jetzt erst erkannt wird, ist, dass Stress zu einem immer größeren Faktor wird, was Arbeits- und Produktivitätsausfälle betrifft. Stressbewältigungskurse sind eine sinnvolle Ergänzung zu vergünstigten Fitness-Studio-Abo, aber reicht das?
Mindfulness-Apps helfen beim Abschalten
In den letzten Jahren ist der Markt der Mindfulness-Apps immer stärker gewachsen. Der Zusammenhang mit der immer stärker fortschreitenden Arbeitsverdichtung ist nicht von der Hand zu weisen. Das Magazin Mobilebranche.de berichtet, dass die App „Calm“ zum Beispiel einen jährlichen Umsätzen in Höhe von 60 Millionen US-Dollar generiert. Das Business-Modell beruht auf dem Abo-Prinzip. Wer also einmal einsteigt, zahlt fortlaufend. Die monatlichen Kosten für die größten Mindfulness-Apps belaufen sich auf 60 bis 100 US-Dollar.
Wäre es also sinnvoll, wenn Arbeitgeber ihren Mitarbeitern die Kosten für ein solches Abo erstatten bzw. gleich als Benefit im Rahmen der betrieblichen Gesundheitsvorsorge zur Verfügung stellen? Dafür muss man sich vor Augen halten, was Mindfulness kann und was nicht.
Wie funktionieren Mindfulness-Apps und was können sie?
Mindfulness kann sehr wohl dabei helfen, abzuschalten und Abstand zum Tagesgeschehen zu gewinnen. Es gibt sogar eine Studie, die nachgewiesen hat, dass Mindfulness eine größere Wirkung gegen Stress hat als das rein auf Sport und gesunde Ernährung bezogene traditionelle Gesundheitsmanagement. Probanden haben ein neues Denkmuster erlernt, sodass sie die ursprüngliche Gefahrenquelle (also die stressauslösende Situation auf Arbeit) nicht mehr als Gefahrenquelle ansehen. Mit neu erlernten Coping-Strategien konnte die Fight-or-Flight-Reaktion unterbunden werden. Stattdessen lernten die Studienteilnehmer, wie sie solche Situationen erfolgreich und ohne Stress meistern können.
Wie kann das auf unseren Arbeitsalltag übertragen werden?
Bei einem ständig wachsenden Aufgabenberg wird auch der routinierteste und fähigste Mitarbeiter irgendwann an seine Grenzen kommen. Das ist einfach eine Frage der Zeit. Der einzige Weg, dafür zu sorgen, dass Mitarbeiter sich nicht überlastet fühlen, ist, das Arbeitspensum im machbaren Bereich zu halten und Erwartungshaltungen zu managen. Denn so kann jeder Arbeitnehmer seinen Aufgaben nachgehen, ohne ständig Zeitdruck im Nacken zu verspüren. Nicht der Mitarbeiter muss sich ständig „selbstoptimieren“, um immer mehr Stress zu bewältigen, sondern die Rahmenbedingungen müssen so gestaltet werden, dass keine Fight-or-Flight-Situation ausgelöst wird.
Wie kann die Digitalisierung helfen, digital ausgelösten Stress zu reduzieren?
Die Rahmenbedingungen werden durch eine gut durchdachte Struktur und eine sinnvolle Planung geschaffen. Die eigenen Kapazitäten gut zu planen und bei voller Auslastung nicht noch mehr Aufgaben anzunehmen (oder diese an bis zum maximum ausgelastete Mitarbeiter zu delegieren, ohne andere Aufgaben abzunehmen), macht nachhaltige Unternehmensführung aus. Digitale Lösungen können dabei helfen, vorausschauend zu planen und die Auslastung in Echtzeit zu verfolgen. Ebenso können Arbeitgeber Arbeitsgeräte, die zu digitalem Stress führen (Dienst-Handy, das eMail-Postfach), dazu nutzen, um Arbeitnehmern das Abschalten zu erleichtern.
Wer regelmäßig seine Batterien wieder auftanken kann, ist nachhaltig leistungsfähiger, loyaler und produktiver. Große Unternehmen wie Daimler bieten ihren Angestellten beispielsweise an, während der Urlaubszeit eingehende eMails automatisch zu löschen. So kommen Angestellte gar nicht in die Versuchung, an Arbeit zu denken. Der Autohersteller VW geht einen ähnlichen Weg. Viele Angestellte haben dienstliche Blackberrys, die so eingestellt sind, dass eingehende Nachrichten nach Feierabend bis zum nächsten Morgen nicht empfangen werden können. Es werden also durch digitale Hilfsmittel die Grenzen, die es vor der Digitalisierung gab, wieder eingeführt, um eine Entgrenzung zu vermeiden.
Sind Mindfulness-Apps also gar keine so guten Mittel gegen Stress?
Mindfulness-Apps können definitiv dabei helfen, am Ende des Tages abzuschalten oder in einer Pause kurzfristig die Batterien für das nächste Meeting wieder aufzuladen. Das ist gar keine Frage. Sie sind jedoch kein Allheilmittel gegen die Volkskrankheit Stress, denn sie setzen an der falschen Stelle an. Sie können Menschen dabei unterstützen, sich in einem eng geknüpften System besser zu bewegen.
Aber sie ändern das System nicht. Somit sollte die alleinige Verantwortung auch nicht auf den Schultern von Arbeitnehmern liegen, sich durch Entspannungsübungen an das bestehende System anzupassen. Arbeitgeber sollten dagegen alle zur Verfügung stehenden Mittel nutzen (und die Digitalisierung bietet viele Hilfestellungen), um eine Arbeitsumgebung zu schaffen, die Stressbewältigung im besten Falle gar nicht nötig macht.
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