Digitale Pflegeanwendungen DiPA: Hohe Hürden erschweren den Start
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Digitale Pflegeanwendungen (DiPA) haben die Chance, die vom Fachkräftemangel geplagte Pflege sowie pflegende Angehörige zu entlasten. Hohe Einstiegsvoraussetzungen sowie eine enge Preisgestaltung machen den Markt jedoch unattraktiv.

Am 9. Juni 2021 ist das Digitale-Versorgung-und-Pflege-Modernisierungs-Gesetze (DVPMG) in Kraft getreten – und digitale Pflegeanwendungen (DiPA) wurden in der Sozialen Pflegeversicherung eingeführt. „Damit haben ca. 4 Millionen Pflegebedürftige einen Anspruch auf eine Versorgung mit DiPA“, heißt es von Seiten des Bundesgesundheitsministeriums (BMG). Über die Notwendigkeit entscheidet die Pflegekasse auf Antrag des Pflegebedürftigen. „Bewilligt die Pflegekasse die Versorgung mit einer DiPA, hat die pflegebedürftige Person Anspruch auf die Erstattung von Aufwendungen für DiPA nach § 40a SGB XI sowie auf Leistungen für die Inanspruchnahme von ergänzenden Unterstützungsleistungen ambulanter Pflegeeinrichtungen nach § 39a SGB XI bis zur Höhe von insgesamt 50 Euro im Monat.“
Die Anwendungen können dabei einige Einsatzgebiete abdecken – etwa die Minderung von Beeinträchtigungen der Selbständigkeit beziehungsweise Fähigkeiten der Pflegebedürftigen oder die Verbesserung der Kommunikation mit pflegenden Angehörigen und Pflegefachkräften.
In der Theorie also eine nützliche Ergänzung der Gesundheitsvorsorge – gerade in Hinblick auf den Fachkräftemangel in der Pflege und die steigende Anzahl an pflegebedürftigen Menschen in den kommenden Jahren. In der Praxis gestaltet sich das Thema allerdings etwas anders: „Seit Dezember vergangenen Jahres können sich Unternehmen für die Anmeldung einer DiPA registrieren“, erklärt Markus Müller, CEO und Mitgründer von Nui Care. Ein Prozess, der vom BfArM durchgeführt wird und in etwa drei Monate in Anspruch nimmt. „Man muss für die Zulassung bestimmte Unterlagen und eine Studie vorlegen, die den Nachweis des pflegerischen Nutzens erbringt. Erst dann wird man in das Register für Pflegeanwendungen aufgenommen. Bisher gibt es jedoch weder DiPA, die aufgenommen wurden, noch jemanden, der sich registriert hat. Es gibt noch nicht mal einen Antrag“, so Müller.
Dafür gäbe es zwei Gründe. Einerseits seien laut Müller die Kosten und der Aufwand für die entsprechende Studie sehr hoch. Zwischen 100.000 und 150.000 Euro sowie ein Jahr Arbeitszeit müsse man dafür veranschlagen. „Andererseits – und das ist das Hauptproblem – gibt es in der Pflege wenige validierte Messinstrumente. In der Medizin gibt es validierte Fragebögen, über die sich beispielsweise nachweisen lässt, dass Patienten und Patientinnen durch den Einsatz einer App im Zeitraum von sechs Monaten weniger Schmerzen haben als vorher. Für die Pflege müssen die Hersteller diese erst mal ausarbeiten und validieren.“ Heißt, sie müssen in einer Studie zunächst die Wirksamkeit des Messinstruments sicherstellen und dann in einer weiteren Studie den Nutzen der App nachweisen. „Diese Hürden sind einfach so hoch, dass sich keiner in diese Mühle begibt.“
Die Siemens Betriebskrankenkassen bringen noch einen weiteren Grund ins Spiel: Die Kosten für eine DiPA seien monatlich auf 50 Euro pro Patienten begrenzt, erklären diese. Bei digitalen Gesundheitsanwendungen (DiGA) hingegen müssten Krankenkassen im ersten Jahr sogar Kosten von mehreren Hundert Euro pro Quartal übernehmen. „Ich erwarte, dass diese Herangehensweise dazu führen wird, dass nur sehr wenige Anwendungen für die Pflege auf den Markt gebracht werden. Zahlreiche potenzielle Anbieterinnen und Anbieter von DiPA spiegeln uns wider, dass der Markt nicht attraktiv genug ist“, erklärt Franziska Beckebans, Bereichsleiterin Kundenmanagement und Versorgung bei der SBK. „Daher werden sie versuchen, ihre Anwendungen stattdessen als DiGA auf den Markt zu bringen. Das wäre eine bedauerliche Entwicklung. Denn gute digitale Pflegeanwendungen, die auf die Bedürfnisse der Pflegebedürftigen und deren Angehörigen abgestimmt sind, könnten positive Impulse für die gesamte Pflege setzen.“
Doch nicht nur positive Impulse machen DiPA so wertvoll. Müller betont zudem ihre Skalierbarkeit, die gerade in Zeiten des Fachkräftemangels eine enorme Entlastung für das System darstellen kann. Die Anwendungen können mit wenig Aufwand auf steigende Zugriffszahlen angepasst, Menschen länger und besser in den eigenen vier Wänden gepflegt und das vorhandene Pflegepersonal so an dringenden Stellen eingesetzt werden.
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