Mehr Zeit für Patientenversorgung Bürokratie abbauen: Marburger Bund veröffentlicht Vorschläge

Von Nicola Hauptmann Lesedauer: 3 min |

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Krankenhausregister, einheitliche IT-Standards, Nutzung von Sekundär- und Routinedaten: Der Marburger Bund stellt eine Liste von Maßnahmen vor, um Ärztinnen und Ärzte zügig von unnötiger Bürokratie zu entlasten.

Marburger Bund: Ärztinnen und Ärzte schnell von Bürokratie entlasten, damit sie ihrer eigentlichen Arbeit, der Patientenbehandlung, nachgehen können
Marburger Bund: Ärztinnen und Ärzte schnell von Bürokratie entlasten, damit sie ihrer eigentlichen Arbeit, der Patientenbehandlung, nachgehen können
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Drei Stunden täglich für Dokumentation – die vielzitierte Zahl ist bekanntlich nur der Mittelwert. Laut Erhebungen des Marburger Bundes wenden 32 Prozent der Ärztinnen und Ärzte sogar mehr als drei Stunden täglich für Dokumentation auf. 2013 waren es noch 8 Prozent. Allein durch die Halbierung des durchschnittlichen Zeitaufwands stünde eine zusätzliche Arbeitskraft zur Verfügung, die rund 32.000 ärztlichen Vollzeitkräften entspreche, so die Berechnung des Marburger Bundes.

Entbürokratisierung kann kurzfristig und ohne zusätzliche Kosten ärztliche und pflegerische Arbeitskraft freisetzen und damit eine bessere Patientenversorgung ermöglichen. Diese Chance müssen wir nutzen – gerade in Zeiten eines Fachkräftemangels im Gesundheitswesen

Dr. Susanne Johna, 1. Vorsitzende des Marburger Bundes Bundesverband

Bereits im Koalitionsvertrag der Ampelregierung wurden eine Prüfung hinsichtlich überholter Vorschriften und ein Paket zum Bürokratieabbau versprochen. Nach den Vorgaben des Sozialgesetzbuches (§220 Abs. 4 SGB V) soll das Bundesministerium für Gesundheit bis 30. September 2023 Empfehlungen zum Bürokratieabbau im Gesundheitswesen erarbeiten.

Vor diesem Hintergrund ist der Marburger Bund, als gewerkschaftliche und berufspolitische Interessenvertretung der Ärztinnen und Ärzte in Deutschland, aktiv geworden und hat Anfang 2023 eine Task Force Entbürokratisierung eingerichtet. Diese hat konkrete Vorschläge zum Bürokratieabbau zunächst für den stationären Bereich erarbeitet und in einem ersten Zwischenbericht zusammengefasst.

Grundsätzlich solle gelten: Bevor neue Regelungen eingeführt werden, sei zunächst die Notwendigkeit der bestehenden Vorgaben zu prüfen. Bei allen Neuregelungen, die Auswirkung auf die Patientenversorgung haben, müssten Bürokratielast und Zeitaufwand ermittelt werden.

Interoperabilität, Sekundärdaten, Softwarestandards – die Vorschläge im Einzelnen:

  • Fallpauschalen (DRG) abschaffen: Die geplanten zusätzlichen Vorhaltevergütungen für die Krankenhäuser führten sogar zu erhöhtem Aufwand, da sie „pro Fall“ gezahlt würden. „Die DRGs haben ausgedient“ – so der Befund. Eine Abschaffung dieses Systems, dessen Fehlanreize bekannt sind, würde „schlagartig zu einer Entbürokratisierung in den Krankenhäusern führen. Sollte es nicht zu einer Abkehr kommen, müsse zumindest die Anzahl der DRGs drastisch verringert werden. Diese sei seit Einführung der Fallpauschalen im Jahr 2003 von 664 auf rund 1.300 gestiegen.
  • Einheitliche Abrechnungssoftware: Bei ambulanten Behandlungen in Krankenhäusern sei die Abrechnung oft komplexer als das medizinische Problem, Vereinheitlichung der Abrechnungsarten also geboten. Durch einheitliche Softwarelösungen und weniger Schnittstellenprobleme würde der Zeitaufwand zusätzlich stark reduziert.
  • Krankenhausregister: Strukturprüfungen und Qualitätskontrollen des Medizinische Dienstes beziehen sich beide auf die Einhaltung von Mindestmerkmalen, ein Nebeneinander verursache Mehraufwand. Stattdessen sollte pro Bundesland ein Krankenhausregister erstellt werden, in dem die jeweils einmal überprüften Kriterien verzeichnet sind – verbunden mit der Verpflichtung der Krankenhäuser, Änderungen beim Medizinischen Dienst zu melden.
  • Datengestützte Qualitätssicherung vs. „Datenfriedhöfe“: Bei der datengestützten externen Qualitätssicherung (eQS) stehe der Aufwand in keinem Verhältnis mehr zum Nutzen, kritisiert die Task Force. Die Sammlung nutzloser Datenfriedhöfe sei keine Qualitätssicherung, sondern qualitätsmindernd, weil sie Ärztinnen und Ärzten Zeit für Behandlungen raube. Durch Peer Reviews, Morbiditäts- und Mortalitätskonferenzen ließen sich zudem weit größere Lerneffekte und Verbesserungen erzielen als durch die Erfassung von über 2,4 Millionen Datensätzen. Der Marburger Bund plädiert für Stichproben statt Vollerhebungen und für die Nutzung von Sekundärdaten, wie etwa Sozial- und Abrechnungsdaten.
  • Interoperabilität: Die im Gesundheitswesen verbreiteten Insellösungen bedingen zeitaufwendige Mehrfacheingaben. Oft würden Daten auch noch analog statt digital ausgetauscht. Daher werden einheitliche Standards und Interoperabilität als entscheidend angesehen. Softwareanbieter seien gesetzlich auf eine Datenarchitektur mit standardisierten Schnittstellen zu verpflichten. Die Befüllung der ePA müsse „aus dem Primärsystem intuitiv und aufwandsarm erfolgen.“

Zur Rolle der Digitalisierung

Digitalisierung bietet die Chance, Dokumentationsaufwand zu verringern – indem Mehrfacherfassungen vermieden werden, auch Routine- und Sekundärdaten genutzt werden können. Die standardisierte Erhebung von Behandlungsdaten mit dem Ziel der Gesundheitsdatennutzung führt aber ihrerseits zu einem Mehraufwand. Auf diesen möglichen Zielkonflikt zwischen Patientenanliegen und Dokumentationsanforderungen hat auch die Zentrale Ethikkommission bei der Bundesärztekammer (ZEKO) in einer im März veröffentlichten Stellungnahme hingewiesen.

  • Mehr Opt-out-Regelungen statt einer Vielzahl von Formularen für Vorgänge, denen die meisten Patienten ohnehin zustimmen würden. Damit ließe sich nicht nur Zeit sparen, sondern auch der Papierverbrauch reduzieren, der allein bei Patientenformularen um etwa 1.300 Tonnen pro Jahr liege.

Verbesserungen im ambulanten Bereich sollen in weiteren Beratungen des Marburger Bundes betrachtet werden.

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