Ende der Übergangsfrist Die MDR ist da – und jetzt?
Anbieter zum Thema
Nach einer Verschiebung des Geltungsbeginns um ein Jahr auf den 26. Mai 2021 ist es nun endlich so weit: die Medical Device Regulation (MDR) ist da. Doch wie sieht die aktuelle Lage in der Medtech-Branche aus? Eine Bestandsaufnahme.

Jetzt ist es ganz offiziell so weit: Die MDR ist da. 2017 ist die neue europäische Medical Device Regulation (MDR) in Kraft getreten. Der ursprüngliche Geltungsbeginn (26. Mai 2020) wurde aufgrund der Corona-Pandemie um ein Jahr nach hinten auf den 26. Mai 2021 verschoben. An diesem Tag endet nun die Übergangsfrist und die bestehenden Medizinprodukterichtlinien werden ersetzt.
Der neue EU-Rechtsrahmen wird allerdings nicht, wie anfänglich von der EU-Kommission in Aussicht gestellt, zur Vereinfachung des Inverkehrbringens von Medizinprodukten im EU-Binnenmarkt führen, sondern diesen Prozess verkomplizieren. Die MDR enthält beispielsweise verglichen mit der bisherigen Richtlinie (MDD) über 100 Artikel mehr. Die MDR ist ein „Basis-Rechtsakt“, der über den Erlass weiterer 43 spezifischer Rechtsakte zu präzisieren und zu steuern sein wird.
Die MDR ist ab dem 26. Mai 2021 verpflichtend anzuwenden. Ausnahmen bestehen nur für Medizinprodukte der Klassen IIa bis III, für die vor dem MDR-Geltungsbeginn ein AIMDD/MDD-Zertifikat ausgestellt wurde, das bis maximal vier Jahre nach dem Geltungsbeginn der MDR weitergilt, sowie für Medizinprodukte, die gemäß der MDR-Klassifizierung neu den Einbezug einer benannten Stelle benötigen. In dieser Übergangszeit dürfen jedoch weder die Zweckbestimmung noch Auslegungsmerkmale des betreffenden Medizinprodukts wesentlich geändert werden, da ansonsten das AIMDD/MDD-Zertifikat seine Gültigkeit verliert und nicht mehr erneuert werden kann.
Die Übergangszeit des AIMDD/MDD-Zertifikats ist durch die Verschiebung des Geltungsbeginns von vier auf drei Jahre verkürzt worden. Umfangreiche neue Anforderungen an benannte Stellen, klinische Bewertungen von Medizinprodukten, neu dokumentierte Pläne und Berichtspflichten und das neue Eudamed-/UDI-Datenbanksystem bedingen neue Rahmenbedingungen, die für eine ordnungsgemäße Anwendung der neuen Regeln eine umfangreiche Vorarbeit der Europäischen Kommission voraussetzen.
Die Hersteller: bereit, aber herausgefordert
Das Software-Unternehmen Climedo Health führte im März und April 2021 eine Umfrage zum Stand der EU-MDR-Umsetzung ein Jahr nach der Verschiebung und wenige Wochen vor dem neuen Geltungsbeginn durch. 115 Unternehmen aus ganz Europa nahmen an der Umfrage teil, 74 Prozent davon aus dem deutschsprachigen Raum.
81 Prozent der Befragten halten die MDR noch immer für sehr herausfordernd. Zu den größten Klippen zählen ein erhöhter Ressourcen- und Kostenaufwand, fehlende Klarheit und erforderliche klinische Prüfungen. 31 Prozent schätzen, dass durch die MDR zusätzliche Kosten von zwischen 5 und 10 Prozent des Jahresumsatzes anfallen; 13 Prozent glauben sogar, dass es mehr als ein Zehntel des Umsatzes sind.
Für 43 Prozent hat die MDR-Verschiebung ihre tägliche Arbeit nicht erleichtert. 72 Prozent haben mittlerweile eine MDR-zertifizierte benannte Stelle; für fast 40 Prozent dieser Teilnehmer war es überhaupt nicht herausfordernd, eine benannte Stelle zu finden.
Ein Blick in die Zukunft offenbart: Als größte Vorteile der MDR wurden Rückverfolgbarkeit und Transparenz genannt; 32 Prozent sahen jedoch gar keine Vorteile in der Änderung. 75 Prozent wünschen sich klare Vorgaben von der EU-Kommission, 50 Prozent mehr fachliche Unterstützung und 30 Prozent Trainings- bzw. Informationsveranstaltungen.
„Die Umfrageergebnisse zeigen, dass die EU-MDR weiterhin sehr herausfordernd, teuer und zeitaufwändig für Unternehmen ist“, so Veronika Schweighart, Mitgründerin und Mitglied der Geschäftsführung bei Climedo Health. „Vor allem Hersteller niedriger klassifizierter Produkte empfinden die Anforderungen als nicht verhältnismäßig zum Risiko ihrer Geräte. Zudem scheinen nur wenige Unternehmen an Klarheit gewonnen zu haben.“
Die EU-Kommission: drei große Baustellen
Trotz der Umfrageergebnisse von Climedo Health scheint es, als ob die Medtech-Unternehmen beim Thema MDR der „anderen“ Seite, nämlich der EU-Kommission, einen Schritt voraus sind. Denn dort gibt es gleich mehrere Baustellen.
Baustelle benannte Stellen: Stand 17. Mai 2021 gibt es 20 benannte Stellen unter der MDR. Diese Anzahl ist viel zu gering, um alle Bestandsprodukte fristgerecht in die MDR zu überführen. Zum Vergleich: Unter dem alten Recht waren es mehr als 50. Aber nicht nur die Anzahl der benannten Stellen ist zu gering. Durch die gestiegenen Anforderungen sind die Zertifizierungsprozesse auch viel zeitintensiver. Das reduziert die Kapazitäten noch weiter.
Der Zeitdruck für Unternehmen und benannte Stellen wächst. Dieses Fazit wurde auch bei dem Online-Symposium von Medical Mountains zum Thema „MDR-Audits – Best Practice & Learnings“ gezogen. Dort gaben benannte Stellen und erfolgreich auditierte Unternehmen ihre Erkenntnisse und Trends weiter. Berater und MDR-Experte Dr. Bassil Akra machte deutlich, dass alles, was besprochen wurde, nur für heute gelten könne – „morgen kann es neue Erklärungen geben, wie die Verordnung zu lesen und umzusetzen ist“, sagte der Geschäftsführer von Qunique. Die Intention von 175 Seiten EU-MDR sei gewesen, Fragen zu beantworten und Harmonisierung zu schaffen. Die mittlerweile 55 Guidance-Dokumente und unterschiedliche nationale Gesetze zeigten jedoch, dass man sowohl in Brüssel als auch in den Mitgliedsstaaten sehr unsicher sei, wie damit umzugehen ist.
Da liegt auch schon die zweite Baustelle: der Stand der Gesetzgebung für die Ergänzung der MDR. Warf man vor einem Jahr, vor der Verschiebung des MDR-Geltungsbeginns aufgrund der Pandemie, einen Blick in den Stand der Gesetzgebung für die Ergänzung der MDR auf nationaler Ebene, konnte man feststellen, dass entsprechende Gesetze in Vorbereitung waren, aber noch nicht alle relevanten Regularien für die Implementierung bereit waren. Der Stand der Gesetzesentwürfe hat sich seit dem letzten Jahr nicht wirklich verändert, befanden die Regulatory-Affairs-Experten von Seleon noch Anfang März in ihrer Devicemed-Kolumne. So ist zwar das Medizinprodukte-EU-Anpassungsgesetz (MPEUAnpG) nach der Verschiebung der MDR auch entsprechend verabschiedet worden und enthält das Medizinproduktrecht-Durchführungsgesetz (MPDG) und weitere wichtige Änderungen damit verbundener Gesetze und Verordnungen. So ist die Ablösung der Medizinprodukte-Sicherheitsplanverordnung (MPSV) durch die Medizinprodukte-Anwendermelde- und Informationsverordnung (MPAMIV) vorgesehen. Sie sieht auch wichtige Änderungen der Medizinprodukte-Betreiberverordnung (MPBetreibV) vor. Doch wie geht es weiter? Es ist zu erwarten, dass es im Mai noch die eine oder andere Aktualisierung gibt.
Die dritte Baustelle ist die Eudamed-Datenbank. Eudamed ist die Datenbank, die von der Europäischen Kommission entwickelt wurde, um bestimmte Anforderungen der MDR und der Verordnung (EU) 2017/746 über IVDs umzusetzen. Sie wird multifunktional sein und gleichzeitig als Registrierungssystem, als Meldesystem und als Verbreitungssystem (in Teilen öffentlich zugänglich) fungieren, wodurch die Transparenz und die Koordination von Informationen zu Medizinprodukten, die auf dem europäischen Markt verfügbar sind, verbessert werden sollen.
Im Allgemeinen besteht die Datenbank Eudamed aus sechs miteinander verbundenen Modulen:
- Registrierung von Wirtschaftsakteuren
- UDI/Produktregistrierung
- Benannte Stellen und Zertifikate
- Klinische Studien und Performance-Studien
- Vigilanz und Überwachung nach dem Inverkehrbringen
- Marktüberwachung
Die verschiedenen Module werden schrittweise, sobald sie funktionsfähig sind, zur Verfügung gestellt. Am 1. Dezember 2020 konnte das erste Modul, die Registrierung der Wirtschaftsakteure, in Betrieb genommen werden. Die weiteren Module sind zum aktuellen Stand 17. Mai noch nicht freigeschaltet.
Diese drei Baustellen zeigen exemplarisch, dass die deutschen Medtech-Hersteller zum Großteil bereit sind für die Umsetzung der MDR, das System aber nicht.
Julia Steckeler, Geschäftsführerin bei Medical Mountains, fasst das aktuelle Stimmungsbild in der Medtech-Branche zusammen: „Bei der Umsetzung der MDR lassen sich drei Gruppen erkennen: Da sind die wenigen Unternehmen, die seit Stunde null einen erheblichen Aufwand betreiben, Argumentationslinien und Strategien aufgebaut haben und heute in der glücklichen Position sind, bereits die wichtigsten Zertifizierungs-Audits gemäß MDR bewältigt bzw. geplant zu haben. Dann gibt es die wohl größte Gruppe an Unternehmen, die genauso früh begonnen hat, viel investiert hat, gut vorbereitet ist, jedoch unverschuldet mit den Defiziten des noch nicht funktionierenden MDR-Systems kämpft. Und dann gibt es da noch diesen glücklicherweise nur sehr kleinen Teil von Unternehmen, der die Umsetzung der MDR noch immer vor sich herschiebt oder gar anzweifelt.“
Dieser Artikel erschien ursprünglich bei Devicemed.
(ID:47432946)