Computer-Simulation in der Forschung Neue Strategie für universelle Impfstoffe entdeckt
Jedes Jahr werden neue Impfstoffe gegen Grippe benötigt, da die Viren ständig ihre Oberfläche ändern. Die Medizin will daher universelle Impfstoffe entwickeln, die stabilere Teile der Viren nutzen sollen. Dazu haben Forscher am Braunschweig Integrated Centre of Systems Biology (BRICS) in Computer-Simulationen analysiert, wie seltene Antikörper gezielter in natürliche Immunreaktionen induziert werden können.
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Prof. Michael Meyer-Hermann, Leiter der Abteilung „System-Immunologie“ am Helmholtz-Zentrum für Infektionsforschung (HZI), hat mithilfe von Computer-Simulationen neue Strategien entwickelt, um die natürliche Bildung breit neutralisierender Antikörper in Lymphknoten zu fördern. Meyer-Hermann erläutert: „Breit neutralisierende Antikörper werden von sehr wenigen Menschen natürlich gebildet, aber die Prinzipien der Bildung sind noch nicht gut erforscht. Wir möchten die zugrundeliegenden Mechanismen besser verstehen, um die natürliche Erzeugung breit neutralisierender Antikörper bei allen Menschen durch Maßnahmen befördern zu können.“
Die Simulationen würden zeigen, dass Gedächtnis-B-Zellen von vorigen Immunreaktionen bei einer erneuten oder andauernden Infektion die Antikörper produzieren, die an dominant präsentierte Virus-Epitope binden und dadurch ihre eigene Beteiligung am erneuten Training im Keimzentrum verhindern. „Das macht den Weg frei für B-Zellen, die sich auf die schlecht zugänglichen Epitope konzentrieren können und erklärt, warum einige Individuen die breit neutralisierenden Antikörper erzeugen“, so Meyer-Hermann
Aufgrund der bisherigen Ergebnisse der Computer-Simulation spricht sich der Forscher für eine Feedbackhemmung in den Keimzentren aus. „Es werden zuerst immer die Antikörper von den B-Zellen gebildet, die an die obenauf und sehr dominant präsentierten Epitope der Erreger binden. Erst wenn diese abgedeckt sind, haben andere B-Zellen überhaupt eine Chance, breit neutralisierende Antikörper zu bilden, die an die versteckteren und konservierten Epitope der Viren binden können“, erklärt Meyer-Hermann.
Laut der Simulationen komme die Selbst-Unterdrückung der Gedächtniszellen jedoch meistens zu spät und daher würden alle B-Zellen sterben, die das Potenzial haben sich an die versteckten Epitope zu binden. Aus diesem Grund schlägt Hermann schlägt vor, durch das Spritzen von Antikörpern gegen dominante Epitope, die Ausbildung der B-Zellen auf die versteckten Epitope zu verlagern.
Im nächsten Schritt sollen die Simulationsergebnisse im Labor überprüft werden. Es gäbe bereits Hinweise, dass die Feedbackhemmung mit Antikörpern tatsächlich funktioniert. Kinder von HIV-infizierten Frauen würden verstärkt breit neutralisierende Antikörper bilden, nachdem sie die nicht-breit neutralisierenden HIV-Antikörper von der Mutter übernommen hatten. Die mütterlichen Antikörper würden die dominanten Epitope bereits abdecken, was der vorgeschlagenen Injektion von Antikörpern entspreche, und würden damit die Entstehung der breit neutralisierenden Antikörper erleichtern.
Mit seinem Team habe Meyer-Hermann schon in früheren Computerstudien gezeigt, wie spezielle Immunzellen, die B-Zellen, optimierte Antikörper zur Abwehr von Krankheitserregern bilden. „Sie sind die einzigen Zellen im Körper, die aktiv ihre Erbsubstanz (DNA = Desoxyribonukleinsäure) mutieren können, um neuartige Antikörper als maßgeschneiderte Waffen der Immunabwehr zu produzieren. In bestimmten Bereichen der Lymphknoten – in den Keimzentren – durchlaufen die B-Zellen einen strengen Auswahlprozess, bei dem sie sich vermehren, mutieren und dabei die von ihnen produzierten Antikörper verändern. Am Ende des Optimierungskreislaufes entstehen im Idealfall Antikörper, die an bestimmte Strukturen von Krankheitserregern, sogenannte Antigen-Epitope, optimal binden und sie möglichst effektiv neutralisieren“, so das HZI
Die Erkenntnis, wie breit neutralisierende ‚Super-Antikörper‘ gegen schlecht zugängliche oder versteckte Virusbestandteile in den Keimzentren selektiert werden, stelle die Theorie der „Antigenerbsünde“ in Frage, laut der Antikörper bei Re-Infektion nur gegen Epitope gebildet werden, die bereits auf dem Virus bei der ersten Infektion vorhanden waren. „Der neu entdeckte Feedback-Mechanismus zeigt, dass sich das Immunsystem lieber auf neue Probleme konzentriert, als alte Probleme optimiert zu lösen. Dieses Verständnis könnte zukünftig maßgeblich die Entwicklung universeller Impfstoffe beeinflussen“, so das Fazit von Prof. Meyer-Hermann.
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