Gesundheitsinnovationen „Innovationen können sich hierzulande nicht entfalten“
Gesundheitsinnovationen sind nicht nur wichtig, um die Digitalisierung im Gesundheitswesen voranzutreiben, sie helfen auch die hiesige Wirtschaft anzukurbeln und Arbeitsplätze zu schaffen. Wie sich am Beispiel Biontech wandern innovative Unternehmen jedoch vermehrt ins Ausland ab. Über die Gründe und was Deutschland etwa von Norwegen lernen kann, spricht Dr. Cornelius Maas, Partner beim Healthcare Growth Investor SHS Capital, im Interview.

Wie ist der deutsche Gesundheitsmarkt aktuell aufgestellt?
Maas: Regulatorisch herausfordernd würde ich sagen.
Wieso ist Deutschland als Standort für Gesundheitsinnovationen so unattraktiv?
Maas: Deutschland, als größter Gesundheitsmarkt Europas, hat grundsätzlich das Potenzial, ein attraktiver Standort für Gesundheitsinnovationen und -Investitionen zu sein. Allerdings gibt es mehrere Faktoren, die seine Attraktivität einschränken. Einer dieser Faktoren ist die Trägheit des Marktes. Wegen seiner Größe und Komplexität gestaltet sich die Einführung neuer Innovationen oft langwierig und mühsam. Ein Grund hierfür liegt in der Vielzahl involvierter Behörden und Unternehmen, von denen jede ihre eigenen Interessen und Zuständigkeiten hat, die teilweise in Zielkonflikten stehen. Diese Fragmentierung erschwert es, einen konsolidierten Ansatz zu finden und alle Beteiligten auf einen gemeinsamen Nenner zu bringen. Damit einher geht ein bürokratischer Aufwand, der Entscheidungsprozesse verzögert und somit Innovation behindert. Um die Attraktivität Deutschlands als Standort für Gesundheitsinnovationen zu steigern, bedarf es einer besseren, effizienteren Zusammenarbeit und Koordination zwischen den involvierten Behörden und Unternehmen. Darüber hinaus herrscht in einigen der involvierten Behörden leider nicht immer ein innovationsfreundliches Klima – das ist zumindest mein Empfinden. Das Potential von Innovationen wird mancherorts nicht richtig eingeschätzt. Teilweise werden Entscheidungen getroffen, die meines Erachtens zu kurzsichtig sind. Die Folge ist, dass Innovationen sich teilweise hierzulande nicht so entfalten können, wie es in anderen Ländern der Fall ist.
Wenn es darum geht, zu zeigen, wie man es besser macht, wird oftmals auf die skandinavischen Länder verwiesen, Norwegen etwa. Aber was macht Norwegen denn anders?
Maas: Stichwort digitale Medizin: In dem von der norwegischen Regierung bereits Anfang 2000 veröffentlichten eNorway-Papier wird Telemedizin nicht nur als zukünftige Option, sondern als Notwendigkeit dargelegt (Knudsen 2000). Die eigens dafür gegründete Behörde für E-Health überwacht (und fördert) den Fortschritt und sorgt dadurch für die die Modernisierung des Systems. Eine moderne digitale Infrastruktur im Gesundheitswesen wird in Norwegen also schon seit vielen Jahren aktiv verfolgt – mit Erfolg. E-Health zählt in Norwegen zu den Branchensegmenten mit der höchsten Forschungs- und Entwicklungsintensität (Germany Trade and Invest 2019). Bereits 80 Prozent der Rezepte werden digital an Patienten übermittelt (Germany Trade und Invest 2019), und die Vernetzung im Gesundheitssystem ist im Vergleich zu Deutschland fortgeschrittener. Allgemeinmediziner, Spezialisten und Krankenhäuser kooperieren bei Fernkonsultationen und engagieren sich in Projekten, die als Grundlage für nationale Empfehlungen dienen. Eine wichtige Rolle spielen auch die Versicherungsunternehmen:Obwohl die gesetzliche Krankenversicherung ebenfalls digitale Angebote abdeckt, schließen immer mehr Norweger private Zusatzversicherungen ab. Im Jahr 2017 waren 9,5 Prozent der Norweger zusätzlich privat versichert. Dieser neue Raum für private ärztliche Behandlungen erschließt auch neue Märkte neben der Abrechnung über die gesetzliche Versicherung. Die privaten und gesetzlichen Versicherungen befürworten digitale Gesundheitsangebote und übernehmen zunehmend mehr digitale Leistungen. Die Lenkungswirkung dieser Unternehmen führt dazu, dass sich digitale Angebote immer stärker etablieren (Germany Trade and Invest 2019).
Egal ob Norwegen oder Estland – man kann nicht außen vor lassen, dass in diesen Ländern natürlich andere Grundbedingungen herrschen. Aber was lässt sich dennoch auf Deutschland übertragen?
Maas: Die Unterschiede zum deutschen Gesundheitssystem sind in der Tat bemerkenswert. Daher ist es nicht überraschend, dass sich Geschäftsmodelle im Bereich Digital Health in Norwegen etablieren. Neben rein digitalen Angeboten gibt es auch Ansätze, bei denen Erstkonsultationen online stattfinden und bei Bedarf physische Folge-Beratungen durchgeführt werden - und umgekehrt. Die physischen Praxen sind in der Regel kompakte Räumlichkeiten, die das niedrigschwellige Online-Angebot ergänzen. Dadurch werden die Vorteile der digitalen Konsultationen, Verschreibungen und Überweisungen bestmöglich genutzt und gleichzeitig der persönliche Arztkontakt aufrechterhalten.
Übertragen lässt sich ein frühzeitiges Antizipieren der Gegebenheiten von morgen, was Norwegen mit der besagten E-Health Behörde sicherlich unter Beweis gestellt hat. Darüber hinaus erschweren die lokalen Gesetze nicht den Einsatz der digitalen Tools, sondern fördern sie aktiv. Hierzulande fallen mir leider mehrere, erschwerende Regelungen für die Anwendung von digitaler Medizin ein, wie bspw. das Werbeverbot in § 9 HWG, die lange bestandene 30-Prozent-Begrenzung für Telemedizin, der aktuell diskutierte 14-tägige „Probierzeitraum“ für DiGa’s oder aber zum Beispiel die teilweise ökonomische Schlechterstellung des Arztes, wenn er digital behandelt.
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