Pflege Mit Technologie und New Work den Pflegenotstand bekämpfen
Der Pflegenotstand verschärft sich zunehmend, weil die Arbeitsbedingungen vielerorts frustrierend sind. Die Zeit für die eigentliche Pflege ist enorm knapp bemessen, für Weiterbildungen sowieso. Was Abhilfe schafft, sind digitale Lösungen und neue Arbeitsweisen, sagt Katrin Alberding, Co-Gründerin des Healthtech-Startups kenbi.

Diagnostik und Patientenüberwachung, Körperpflege und Betreuung – die Aufgaben in der Pflege sind vielfältig und benötigen Zeit. Doch genau darin besteht das Problem: Zeit haben die Pflegekräfte immer weniger. Während schon heute in Heimen und ambulanten Diensten tausende Pflegende fehlen, steigt die Zahl der konstant Pflegebedürftigen immer weiter an – von heute 4,5 auf 6 Millionen bis 2030, wie die Barmer schätzt.
Wir befinden uns schon mitten in einem Pflegenotstand, der sich immer weiter verschärft – und das, obwohl sich 60 Prozent der Berufsaussteiger eine Rückkehr in die Pflege vorstellen könnten. Die Studie „Ich pflege wieder, wenn…” der Arbeitnehmerkammer Bremen kommt zu dem Schluss, dass es 300.000 weitere Vollzeitkräfte geben könnte, wenn sich die Arbeitsbedingungen in der Pflege erheblich verbessern würden.
Damit es dazu kommen kann und der Teufelskreis aus schlechten Rahmenbedingungen und Personalmangel durchbrochen wird, müssen Pflegekräfte stärker entlastet werden, sodass sie mehr Zeit für die Patienten haben. Benötigt werden eine bedarfsgerechte Personalplanung, weniger Dokumentationsarbeit und respektvolle Vorgesetzte.
Doch wie können neue Arbeitsmodelle und Führungsansätze in einer Branche umgesetzt werden, die nicht gerade als modernisierungswillig gilt? Mit der Gründung unseres technologiezentrierten Gesundheitsdienstes kenbi haben wir einen eigenen Versuch unternommen, genau diese Punkte in der ambulanten Pflege umzusetzen. Dabei setzen wir auf den New Work-Ansatz und digitale Lösungen und haben wertvolle Erfahrungen gemacht.
Funktioniert New Work in der Pflege?
New Work, also die technologische und kulturelle Transformation der Arbeitswelt, umfasst die Dimensionen Technologie, Führung und Sinnstiftung, welche alle auf die Pflege anwendbar sind. Mitarbeiter, die selbstbestimmter entscheiden können, welche Aufgaben sie wann und wie erledigen, sind nicht nur motivierter, sondern auch wesentlich produktiver. Diese Grundannahme des New Work-Ansatzes ist in der traditionell hierarchischen Pflege besonders schwierig in die Praxis umzusetzen. Er erfordert, dass Führungskräfte ihre Mitarbeiter ihren Potenzialen und nicht nur ihrer Kapazitäten entsprechend einsetzen. Sie müssen Weiterbildungen ermöglichen und Verantwortungen übertragen, anstatt nur zu delegieren. Solche Freiräume ermöglichen es den Pflegenden, sich weiterzuentwickeln und auf verschiedene Bereiche zu spezialisieren, wie zum Beispiel die Wundversorgung oder auf variable Bereiche wie patientenzentrierte und teamzentrierte Aufgaben rund um die Pflege.
Bei kenbi orientieren wir uns am Buurtzorg-Ansatz aus den Niederlanden, bei dem kleine, autonome Teams im Zentrum stehen. Ein Standort besteht aus sechs bis zwölf Pflegekräften – von Haushaltshilfen über Betreuer bis hin zu Fachkräften – die gemeinsam ihr Büro leiten, ihre Patienten betreuen und im Team darüber entscheiden, wen sie einstellen möchten. Des Weiteren umfasst jedes Team einen Planer und Spezialrollen.
Für neue Mitarbeiter ist diese Art des Arbeitens zunächst eine große Umstellung, da nicht mehr nur delegiert wird. Zugleich ermöglicht ihnen diese Form der Eigenverantwortung, sich mit neuen Problemen auseinanderzusetzen und mit und an ihnen zu wachsen. Für neue Mitarbeiter meist eine große Umstellung – denn Eigenverantwortung bedeutet im Umkehrschluss, dass man sich mit ganz neuen Problemen auseinandersetzt und diese nicht „nach oben” abgeben kann.
Dieser Ansatz wird insgesamt jedoch sehr gut aufgenommen, denn er bietet einen hohen Gestaltungsspielraum im Arbeitsalltag und klare Entwicklungsperspektiven: Wo stehe ich? Wo kann ich noch mehr Verantwortung übernehmen und welche Weiterbildungen fehlen mir noch, um eine neue Kompetenz-Position zu erreichen?
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