Nutzung von medizinische Daten KI entschlüsselt das Gesundheitswesen der Zukunft
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Im Projekt AIQNET entsteht ein digitales Ökosystem, das große Datenmengen des Gesundheitswesens dezentral und datenschutzkonform sammelt und per KI auswertbar macht. Dabei sorgt ein spezielles Gateway dafür, dass die entsprechenden Daten eine gemeinsame Sprache sprechen.

Ärztinnen und Ärzte stehen bei der Wahl der passenden Medizinprodukte, zum Beispiel bei künstlichen Hüftgelenken, immer wieder vor einem Rätsel: Welches Produkt eignet sich am besten für die individuellen und komplexen Voraussetzungen der Patientin oder des Patienten? Einschlägige Erhebungen, die Auskunft darüber geben, welches Produkt sich in welcher Situation als besonders effektiv erwiesen hat, liegen meist nicht vor.
Dabei existieren Daten, über die sich genau das herausfinden lässt – nämlich Anamnesen, Patientenfragebögen, Laborberichte, Diagnosen, Röntgenbilder und vieles mehr. Diese Daten werden allerdings meist nur einmal genutzt, bevor sie in Krankenhausarchiven oder auf Praxisservern verschwinden. Ein Projekt, das im Rahmen des KI-Innovationswettbewerbs des Bundesministeriums für Wirtschaft und Energie (BMWi) gefördert wird, will das ändern und die enormen Potenziale, die in diesen Daten für medizinisches Personal, Pharma- und Medizinproduktehersteller und nicht zuletzt die Patienten stecken, bergen.
Verbesserung der medizinischen Versorgung
„80 Prozent der Daten in Krankenhäusern können derzeit nicht genutzt werden, weil sie in verschiedenen Systemen, nicht-interoperablen Formaten oder gänzlich unstrukturiert vorliegen“, erläutert der Projektleiter von AIQNET, Frank Trautwein. Diese Datenmengen nutzbar zu machen, verbessere zum einen die medizinische Versorgung und entlaste zum anderen das Klinikpersonal, das aktuell noch viel Zeit mit der händischen Erfassung der Daten verbringt.
Im Rahmen des Projekts wurden KI-Methoden entwickelt, die diese Tätigkeit übernehmen sollen: Durch Natural Language Processing (NLP) wird die intelligente Auswertung von Textdokumenten über KI möglich, während sogenannte Convolutional Neural Networks (CNN) dazu in der Lage sind, Bilddaten zu analysieren. So soll bald ein Scan genügen, um die Daten dem digitalen, dezentralen Ökosystem zur Verfügung zu stellen. Dort werden sie verknüpft und können durch von Drittanbietern entwickelte KI-Anwendungen für unterschiedliche Zwecke ausgewertet werden – übersichtlich und datenschutzkonform.
Vermittler zwischen medizinischen Geräten
Damit die in verschiedenen Formaten vorliegenden Daten überhaupt zusammengeführt werden können, bedarf es einer weiteren technischen Lösung. Hier kommt das Projekt Universal Medical Gateway – kurz UMG – zum Einsatz. Das schlicht anmutende Gerät, das von der TZM GmbH als Teil des AIQNET-Konsortiums entwickelt wurde, dient als Schnittstelle zwischen verschiedenen medizinischen Anlagen und dem digitalen Ökosystem, indem es eine Dolmetscherfunktion übernimmt: Die unterschiedlichen Sprachen, die die medizinischen Geräte verschiedener Hersteller sprechen, werden durch die Technologie vereinheitlicht und in den Standard Health Level 7 (HL7) übersetzt. Dahinter verbirgt sich ein etabliertes internationales Datenformat für den Austausch zwischen Organisationen im Gesundheitswesen.
Durch das Gateway werden viele Daten automatisch in das IT-System übertragen, die sonst vom Personal händisch dokumentiert werden müssten, z.B. die Nutzungsdauer von Beatmungsgeräten. Den Pflegekräften wird so nicht nur monotone Arbeit abgenommen, die erfassten Daten sind auch genauer, da sich in die manuelle Übertragung im Klinikalltag oft Übertragungsfehler einschleichen oder Daten nur geschätzt werden konnten. Durch das UMG kann nun exakt belegt werden, wann und wie lange ein bestimmtes Gerät verwendet wurde.
Zudem ist die Steuerung von vielen medizinischen Geräten aus der Ferne möglich. Um etwa Alarmsignale an Krankenbetten abzulesen, muss das Personal nun nicht mehr zu jedem einzelnen Bett laufen, sondern kann die Anwendungen bequem über mobile Endgeräte oder eine zentrale Steuerkonsole bedienen. Eine entsprechende Vernetzung der Geräte ist dank der hohen Flexibilität herstellerübergreifend und über alle Geräte hinweg möglich.
Schnellere Entwicklung von Medizintechnik
Hersteller medizinischer Geräte und Produkte profitieren dabei nicht nur durch die Vernetzungsmöglichkeiten. Durch die Integration in das digitale Ökosystem eröffnen sich den Unternehmen neue Möglichkeiten, ihre Produkte zur Marktreife zu führen. Die Daten, die im Projekt gesammelt und über das UMG interoperabel gemacht werden, können auch herangezogen werden, um die Leistungsfähigkeit und Sicherheit von Produkten und Medikamenten zu belegen. Langwierige und kostenintensive Studien könnten dank der nun verfügbaren und vernetzbaren Daten der Vergangenheit angehören.
Das ist gerade im Angesicht der im Mai verabschiedeten EU-Medizinprodukteverordnung (MDR) ein sehr vielversprechender Ansatz für Medizinproduktehersteller und Pharmaunternehmen. Denn die strengeren Richtlinien, die nun auch Produkte zur Reinigung, Sterilisation und Desinfektion sowie wiederaufbereitete Medizinprodukte wie Herzkatheter umfasst, verlangen deutlich größere Datenmengen, die über das Ökosystem zur Verfügung gestellt werden können.
Digitales Ökosystem für das Gesundheitswesen
Das Konsortium sieht dementsprechend großes Wachstumspotenzial für das Projekt – sowohl in Deutschland als auch international. Ambitionierte Ziele wurden bereits gesteckt: Bis zum Jahr 2025 sollen die Daten von 1.000 deutschen Kliniken und mindestens 100 von externen KI-Entwicklern bereitgestellte Auswertungsmethoden zur Verfügung stehen. Das entspricht etwa der Hälfte aller Kliniken in Deutschland, auf die man sich zunächst fokussieren möchte.
In der zunehmenden Verbreitung sieht Prof. Dr. Rainer Würslin, Senior Advisor der TZM GmbH, vor allem auch Potenziale, um neue Einsatzgebiete für die Technologien zu lokalisieren. „Durch das digitale Ökosystem erhalten wir Zugang zu Kliniken und einem Netzwerk an wichtigen Stakeholdern. Zudem lernen wir Use Cases kennen und erfahren so, wo es Bedarf an Digitalisierung gibt und wo wir helfen können.“, erläutert er. Denn ähnlich wie die Daten, die in den Klinikarchiven schlummern, müssen viele Potenziale der Digitalisierung für das Gesundheitswesen erst noch entdeckt werden.
*Die Autorin: Lene Ganschow, Beraterin für Gesellschaft und Innovation der Begleitforschung zum KI-Innovationswettbewerb des BMWi, VDI/VDE Innovation + Technik GmbH
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