Stimmen zur Digitalstrategie für das Gesundheitswesen Rückenwind für die Digitalisierung?

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Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach hat seine Strategie zur Digitalisierung im Gesundheitswesen vorgelegt. Schon jetzt ist erkennbar, dass vor allem die geplante Einführung der elektronischen Patientenakte und die Neuorganisation der Gematik für Gesprächsstoff sorgen werden.

Die Digitalstrategie des Bundesgesundheitsministeriums wird für Diskussionen sorgen
Die Digitalstrategie des Bundesgesundheitsministeriums wird für Diskussionen sorgen
(© agenturfotografin – stock.adobe.com)

Bereits zur DMEA des vergangenen Jahres angekündigt, hat Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach nun seine Digitalstrategie für das Gesundheitswesen vorgestellt (die wichtigsten Inhalte finden Sie hier). Vor allem die Ankündigung der verbindlichen Einführung einer elektronischen Patientenakte bis Ende 2024 und die Ankündigung, dass die Gesellschaft für Telematik (Gematik GmbH) zu einer Digitalagentur umgebaut werden soll, deren Trägerschaft zu 100 Prozent übernommen wird, haben naturgemäß für Aufregung gesorgt. Healthcare Digital hat einige wichtige Stimmen zusammengetragen.

Mit die schärfste Kritik kam sicherlich vom Verein Freie Ärzteschaft. Dort hieß es: „Bundesgesundheitsminister Lauterbach kündigte dieser Tage einen Paradigmenwechsel im Umgang mit Medizindaten an: Statt wie bisher unter der ärztlichen Schweigepflicht stehend, sollen künftig die Krankheitsdaten aller Bürgerinnen und Bürger in Deutschland ab deren Geburt automatisiert und verpflichtend aus den Praxen heraus in zentralen Datensammlungen gespeichert werden. Um dann künftig dort auf Anfrage jedem, der den Anspruch erhebt, ´etwas mit Medizin zu tun zu haben‘ für Auswertungen in Deutschland und im von der EU-Kommission geplanten ‚Europäischen Gesundheitsdatenraum‘ EHDS zur Verfügung zu stehen. Unabhängig davon, ob es um Pharmaforschung, Gesundheitspolitik oder Gesundheitswirtschaft geht. Ein staatliches Forschungsdatenzentrum soll über die Freigabe entscheiden. Ziel der EU-Kommission ist zugleich, dass diese Krankheitsdaten künftig auch europaweit angefordert und ausgewertet werden können, im Falle der sogenannten ‚Forschungsinteressen‘ ohne jede Möglichkeit des betroffenen Patienten, zu widersprechen.“

Dr. Silke Lüder, stellvertretende Vorsitzende der Freien Ärzteschaft und Allgemeinärztin in Hamburg, zielt denn auch die gesamte Planung zielt darauf ab, die ärztliche Schweigepflicht aufzuheben, und das Recht auf informationelle Selbstbestimmung des Patienten gleich mit.“

Ähnlich, wenn auch nicht ganz so scharf, aber nicht weniger entschieden, äußerte sich die Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV). Dort befürchtet man vor allem, dass unausgereifte Lösungen überstürzt ausgerollt werden. „Es kann Gründe dafür geben, jeden Versicherten mit einer elektronischen Patientenakte auszustatten, sofern dieser dem nicht aktiv widerspricht (Opt-out). Das derzeitige Vorgehen von Politik und gematik erinnert jedoch fatal an die Fehler der vergangenen Jahre bei der Digitalisierung, in denen Anwendungen teilweise unausgereift als verbindlich erklärt wurden“, heißt es dazu von der Vereinigung.

Die ePA und das, was sie für eine noch bessere Versorgung leisten könne, sei zu wichtig, um überhastet angestoßen zu werden – ohne Ziele, Abläufe, geschweige denn die Versorgungsrealität in den Praxen ausreichend einzuplanen und abzubilden und darüber hinaus als eine Art Zwangsbeglückung für die Versicherten. Zudem sei das erklärte Ziel einer verpflichtenden Einführung ab dem 1. Juli 2024 erkennbar unrealistisch, da zahlreiche technische und datenschutzrechtliche Fragen noch weitgehend ungeklärt seien. Als Konsequenz dieser Analyse hat der KBV auch den Beschlussvorschlag der Gematik zur elektronischen Patientenakte abgelehnt.

Freundlicher ging man beim BVMed, dem Bundesverband Medizintechnologie mit den Plänen Lauterbachs um. Von dort hieß es: „Der Bundesverband Medizintechnologie (BVMed) begrüßt, dass die vom Bundesgesundheitsminister vorgestellte Digitalstrategie sowie die Hinweise auf das angekündigte Gesundheitsdatennutzungsgesetz gute Ansätze für Forschung und Entwicklung von Medizintechnologien bietet.“

Positiv bewertete der deutsche Medizintechnik-Verband insbesondere den geplanten verbesserten Zugang zu Versorgungsdaten für forschende Unternehmen sowie eine einheitliche Auslegung des nationalen und europäischen Datenschutzrechts. „Gut ist auch, dass mit der Ausweitung der digitalen Gesundheitsanwendungen (DiGA) auf Medizinprodukte der Klasse IIb eine alte Forderung des BVMed umgesetzt werden soll“, so BVMed-Geschäftsführer und Vorstandsmitglied Dr. Marc-Pierre Möll.

Die Maßnahmen müssten nun rasch umgesetzt werden, um Impulse für eine neue Innovationsdynamik zu geben, forderte der BVMed. Gleiches gelte für das gesetzliche Implantateregister, dass auch für Hüft- und Kniegelenkersatz schnellstmöglich unter Berücksichtigung der Vorarbeiten des Endoprothesenregisters umgesetzt werden muss. Zudem vermisse der BVMed einen strukturierten Prozess zur adäquaten Einbindung der Hilfsmittel-Leistungserbringer und Homecare-Versorger in die digitale Infrastruktur.

Auch auf die Datenschutzproblematik im Zusammenhang mit dem geplanten European Health Data Space ging man beim BVMed ein: „Die Digitalisierungsstrategie des Bundesgesundheitsministeriums (BMG) setzt ähnlich wie der Vorschlag der EU-Kommission zum European Health Data Space (EHDS) auf die Generierung und Nutzung von qualitativ hochwertigen Daten für eine bessere Gesundheitsversorgung und Forschung“, bewertet BVMed-Digitalexpertin Natalie Gladkov die Vorschläge.

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Neben der primären Datennutzung werde die Umsetzung der Sekundärnutzung ein entscheidender Schritt für die Entwicklung künftiger medizinischer Innovationen sein. „Dabei müssen wir einen Rechtsrahmen schaffen, der Persönlichkeitsrechte im Rahmen der Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO) schützt, gleichzeitig aber den Zugang zu möglichst vollständigen Gesundheitsdatensätzen ermöglicht“, so Gladkov. Ein vertrauensvoller Umgang mit den Daten unter Einsatz moderner Technologien zum Schutz der Daten könne dabei der Schlüssel für die Stärkung der Innovationskraft sein.

Ebenfalls positiv äußert man sich beim bvitg, dem Bundesverband Gesundheits-IT, zu Lauterbachs Digitalstrategie. Dort heißt es ganz einfach: „Der Bundesverband Gesundheits-IT – bvitg e. V. begrüßt, dass die Digitalisierung des Gesundheitswesens nun endlich ein Leitbild erhalten hat.“ Und weiter: „Die einhundertprozentige Eigentümerschaft des Bundes an der neuen Digitalagentur lässt auf eine strukturiertere und transparentere Arbeitsweise der jetzigen gematik GmbH hoffen. So können im Idealfall Entscheidungen schneller getroffen und alle beteiligten Player in den Entscheidungsprozess eingebunden werden.“

Kritisch angemerkt wird allenfalls, dass bestimmte Themen noch nicht beziehungsweise noch nicht ausreichend angegangen wurden. „Gleichzeitig wurden relevante Fragen für eine erfolgreiche Transformation ausgelassen. So ist weiterhin offen, wie ein niedrigschwelliger Zugang zur ePA-App gelingen und wie die digitale Medikationsübersicht integriert werden soll. Hier bleibt ungeklärt, welchen Mehrwert dies haben wird, wenn nicht eine verpflichtende Bereitstellung des Planes an alle verschreibenden Behandelnden geregelt ist.“ Dies sei jedoch notwendig, da der Medikationsplan nur so aktuell gehalten und entsprechende Kontraindikationen bei neuen Verschreibungen geprüft werden könnten. Um Mehrwerte zu generieren, sei es zudem unabdingbar, die entsprechenden Anwendungen anwender- und nutzerfreundlich zu gestalten.

Auch die Krankenklassen äußern sich überwiegend positiv. Bei näherem Hinsehen zeigt sich aber auch hier einiges Konfliktpotenzial. So gibt man beim GKC-Spitzenverband unter der Überschrift „Rückenwind für die Digitalisierung“ zu Protokoll: „Wir glauben nicht, dass es sinnvoll ist, zentrale Akteure wie die Ärzteschaft, die Krankenhäuser, Apotheken und die Krankenkassen im Rahmen der Verstaatlichung der Gematik von der Trägerschaft dieser zentralen Institution für die Weiterentwicklung der Digitalisierung des Gesundheitswesens auszuschließen. Der Blick auf andere staatliche Digitalisierungsprojekte, wie beispielsweise das Bürgerportal, stimmt uns leider nicht optimistisch.“ Und weiter heißt es: „Wir gehen davon aus, dass eine eventuelle künftige Gematik als staatliche Institution auch vom Staat finanziert wird.“ Ähnlich äußert sich übrigens die Deutsche Krankenhausgesellschaft: Auch hier fordert man eine nachhaltige Finanzierung.

Für Diskussionsstoff sowohl beim Datenschutz wie auch bei der Umgestaltung der Gematik ist also gesorgt.

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