Neue Verfahren und Filamente Fingerorthesen und Herzklappen aus dem 3D-Drucker

Ein Gastbeitrag von Sophie Alscher* Lesedauer: 4 min

Die additive Fertigung hat in den letzten Jahren enorme Fortschritte gemacht und wird in der Medizintechnik zunehmend als eine der vielversprechendsten Technologien für die Produktion von maßgeschneiderten Teilen und Prototypen angesehen. Die Einführung neuer Verfahren und Filamente hat diese Entwicklung weiter vorangetrieben und eröffnet neue Möglichkeiten für die medizinische Forschung und Praxis. Die Breite der Anwendungsgebiete zeigen zahlreiche Aussteller auf der Medtec Live with T4M im Mai in Nürnberg.

Das Herz aus dem 3D-Drucker: Neue Verfahren ermöglichen es, komplexe menschliche Gewebe und Organe zu drucken, was potenziell lebensrettend sein könnte.
Das Herz aus dem 3D-Drucker: Neue Verfahren ermöglichen es, komplexe menschliche Gewebe und Organe zu drucken, was potenziell lebensrettend sein könnte.
(Bild: scharfsinn86 - stock.adobe.com)

Gerade Orthesen, Prothesen oder andere Produkte mit hohem Individualisierungsgrad eignen sich zum 3D-Druck. Die Verwendung von biokompatiblen Materialien und die Möglichkeit, Objekte mit hoher Präzision und Komplexität herzustellen, haben bereits dazu beigetragen, die Behandlungsmöglichkeiten für Patienten zu verbessern. Neue Verfahren ermöglichen es sogar, komplexe menschliche Gewebe und Organe zu drucken, was potenziell lebensrettend sein könnte.

Die additive Fertigung, auch als 3D-Druck bezeichnet, bezieht sich auf die Herstellung von Objekten durch das schichtweise Hinzufügen von Materialien. Im Gegensatz zu traditionellen Fertigungsmethoden, bei denen Materialien aus einem Block herausgenommen oder zusammengefügt werden, verwendet die additive Fertigung digitale dreidimensionale Modelldaten, um Schicht für Schicht eines Werkstoffs aufzutragen, bis die gewünschte Geometrie entsteht. Die Technologie ermöglicht es, komplexe Formen und Geometrien ohne aufwendige Werkzeuge oder Formen herzustellen, was die Produktion von Prototypen und maßgeschneiderten Objekten effizienter und kostengünstiger macht. „Auch für Patienten birgt das Vorteile, weil intensiv auf ihre Bedürfnisse eingegangen werden kann, sei es zum Beispiel die individuelle Anpassung von Prothesen“, erklärt Christopher Boss, Geschäftsführer der Medtec Live. Die Breite der Anwendungsgebiete zeigen zahlreiche Aussteller auf der Medtec Live with T4M im Mai in Nürnberg.

Das Beste aus beiden Welten: Filamenthybridisierung aus Kunststoff und Metall revolutioniert den 3D-Druck

Additiv lassen sich nicht nur Werkstücke aus Kunststoff herstellen, mit der Filamenthybridisierung steht ein Verfahren zur Verfügung, verschiedene Materialien in einem Anlagenkonzept miteinander zu verbinden. Das bringt Vorteile, wie eine additiv hergestellte Fingerorthese anschaulich zeigt.

Mit der Technologie des „Wire-Encapsulation-Additive-Manufacturing“ (WEAM) entwickelte ein Team um Lukas Boxberger, Abteilungsleiter in der Biomechatronik am Fraunhofer-Institut für Werkzeugmaschinen und Umformtechnik (IWU), eine additiv gefertigte Fingerorthese. Sie ist ein gutes Beispiel für den aktuellen Trend der Hybridisierung in der additiven Fertigung, „sprich die Verbindung von unterschiedlichen Kunststoffen, Metallen, Textilien und biologischen Materialien wie etwa Furnier in einem Fertigungsverfahren. Es lassen sich damit beispielsweise patientenindividuelle Orthesen mit elektrischen Zusatzfunktionen herstellen, die fließende Übergänge im Materialgefüge besitzen – von weich und dehnbar bis hart und spröde, mit wärmenden, belastungserfassenden oder auch aktiven, verstellenden Funktionen. Damit schaffen wir eine Technologie, welche imstande ist, jeden Werkstoff so ressourceneffizient wie nur möglich für die Erledigung seiner spezifischen Aufgabe im Verbund einzusetzen und können damit natürlichen Vorbildern mehr und mehr entsprechen. Dies wollen wir auch für komplexere Implantate nutzen, welche die Eigenschaften von Knochen, angrenzendem Gewebe und Sehnen nachempfinden und besser mit der biologischen Umgebung harmonieren“, erklärt Boxberger. Die Idee ist, dass ein Draht in das Verfahren integriert wird. Dieser heizt dann aufgrund seines elektrischen Widerstands das Material der Orthese auf. Dieses wird weich, wodurch die Orthese individuell auf den Patienten angepasst werden kann. Danach härtet der Kunststoff aus und ist formstabil.

Herzklappen aus der Zukunft: Kunststoff und menschliche Zellen vereint in neuem additiven Fertigungsverfahren

Prof. Dr. Petra Mela und Kilian Müller, M.Sc. Lehrstuhl für medizintechnische Materialien und Implantate, betrachten ein 3D-Herzklappen-Scaffold vor einer Melt-Electrowriting-Anlage.
Prof. Dr. Petra Mela und Kilian Müller, M.Sc. Lehrstuhl für medizintechnische Materialien und Implantate, betrachten ein 3D-Herzklappen-Scaffold vor einer Melt-Electrowriting-Anlage.
(Bild: Andreas Heddergott/TUM)

Additiv gefertigte Trägergerüste sollen in Zukunft das Wachstum von neuem Gewebe unterstützen. Das war das Ziel des Forschungsteams um Prof. Dr. Petra Mela, Professorin für medizintechnische Materialien und Implantate an der Technischen Universität München (TUM), und Professorin Elena De-Juan Pardo von der University of Western Australia. Gemeinsam haben sie Gerüste für künstliche Herzklappen aus dem 3D-Drucker entwickelt, die es ermöglichen sollen, im Patienten neues Gewebe aus körpereigenen Zellen zu bilden.

Hergestellt werden diese Gerüste mit einem additiven Fertigungsverfahren namens Melt Electrowriting. Das ist ein vergleichsweise neuartiges additives Herstellungsverfahren, bei dem elektrische Hochspannung eingesetzt wird, um präzise Muster aus einer sehr dünnen Polymerfaser zu bilden. Ein Polymer wird erwärmt, geschmolzen und als flüssiger Strahl aus einem Druckkopf gepresst. Als Filament verwendete das Team medizinisch zugelassenes Polycaprolacton (PCL), da dieses mit Zellen kompatibel und biologisch abbaubar ist. Nach der Implantation der PCL-Herzklappen sollen körpereigene Zellen der Patienten auf dem porösen Trägergerüst wachsen, die dann neues Gewebe bilden, bevor sich die PCL-Struktur abbaut. „Unser Ziel besteht darin, bioanaloge Herzklappen zu erschaffen, die die Bildung von neuem funktionalem Gewebe im Patienten fördern. Vor allem Kinder könnten von einer solchen Lösung profitieren, da aktuell verfügbare Herzklappen nicht mitwachsen und daher im Laufe der Jahre in mehreren Eingriffen ausgetauscht werden müssen. Unsere Herzklappen imitieren hingegen die Komplexität der körpereigenen Herzklappen und sind so konstruiert, dass sie es den Körperzellen der Patientin oder des Patienten ermöglichen, das Trägergerüst zu infiltrieren“, erklärt Mela.

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Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die neuen Verfahren und Filamente in der additiven Fertigung der Medizintechnik enormes Potenzial für eine individuelle Patientenversorgung bieten. Die Möglichkeit zur Herstellung personalisierter und hochpräziser medizinischer Geräte und Implantate trägt dazu bei, die Lebensqualität der Patienten zu verbessern. Additiv gefertigte Fingerorthesen und Herzklappen sind nur zwei Beispiele für die vielen Anwendungen, in denen additiv gefertigte Modelle mehr und mehr den Eigenschaften menschlicher Körperteile entsprechen. Interessant ist dabei, bis zu welchem Grad das möglich ist und welche Entwicklungen und Innovationen diese faszinierende Technologie für die Medizin noch bringen wird.

Medtec Live with T4M und Medtec Summit

„Es wird spannend zu beobachten, welche Entwicklungen der additiven Fertigung in die Medizintechnikbranche Einzug gehalten haben und welche Chancen dies bietet“, wirbt Boss. Die Messe findet vom 23. bis 25. Mai 2023. Auf dem renommierten internationalen Medtec Summit diskutieren Hersteller, Anwender und Forscher interdisziplinär zukünftige Entwicklungen.

Dieser Artikel erschien ursprünglich bei unserem Schwesterportal Devicemed.

* Die Autorin: Sophie Alscher, TBN Public Relations GmbH

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