Hightech unterstützt Menschen mit Behinderung Mit dem Rollstuhl auf die Rennstrecke
Der Cybathlon ist ein einzigartiger Wettkampf: Menschen mit Behinderungen messen sich beim Absolvieren alltagsrelevanter Aufgaben. Wie kleine Gleichstrommotoren dabei unterstützen, zeigt das Beispiel eines Rollstuhls.
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Rollstühle sind heute Hightech-Geräte, die ständig verbessert werden. Der Cybathlon, der seit 2016 wie die Olympischen Spiele alle vier Jahre stattfindet, soll dazu beitragen. In der Kategorie Wheelchair Race absolvieren Piloten mit einer schweren Gehbehinderung in einem motorisierten Rollstuhl eine definierte Hindernisstrecke. Die einzelnen Stationen enthalten beträchtliche Herausforderungen, darunter Treppen, Rampen, Slalomstrecken oder ganz allgemein unebenes Terrain. Mit bislang zwei Goldtrophäen ist dies die Paradedisziplin des Teams HSR Enhanced der Hochschule für Technik Rapperswil. Der Antriebsspezialist Faulhaber ist mit an Bord – mit Hochleistungsmotoren im Rollstuhl sowie als Sponsor des HSR-Teams.
Die einzelnen Aufgaben enthalten beträchtliche technische Herausforderungen, die es zu bewältigen gilt. Für das Treppensteigen beispielsweise haben die verschiedenen Teilnehmerteams ganz unterschiedliche Ansätze entwickelt. Einige von ihnen setzen zum Beispiel auf Raupen, die auch die Fortbewegung auf flachem Untergrund bewältigen. HSR Enhanced verwendet dagegen ein hybrides Antriebskonzept mit Raupen für die Treppe und einzeln lenkbaren Rädern, die den Rollstuhl auf ebenem Gelände sehr wendig machen.
Treppensteigen mit Raupen
Für die Treppe gibt es das absenkbare Zusatzmodul „Herkules“ unter dem Fahrgestell, das den Rollstuhl für die Treppe von einem Rad- in ein Raupenfahrzeug verwandelt. Damit der Pilot auch in der Schräglage sicher sitzt, wird der Fahrersitz und damit der Schwerpunkt verschoben. Die Verlagerung hat zudem Einfluss auf die Traktion und das Fahrverhalten, kommt dem Fahrer aber auch in Alltagssituationen entgegen: Ist der Sitz vorn, sind seine Füße unten, und er kann bequem an einen Tisch heranfahren. In der hinteren Position – der Standard für die Fahrt auf ebenem Untergrund – liegen die Beine oben, was die Kombination aus Pilot und Rollstuhl kürzer und kompakter macht.
Gleichstrommotoren von Faulhaber kommen im Treppenmodul, bei der Sitzverstellung und bei der Einzelradlenkung zum Einsatz. Für die Absenkung des „Herkules“ werden zwei leistungsstarke grafitkommutierte Gleichstrommotoren der Baureihe CR verwendet, die das Gesamtgewicht von rund 180 kg von den Rädern auf die Raupen heben. Der gleiche Gleichstrommotortyp verschiebt mit Getriebe und Spindel versehen auch den Sitz. Die DC-Motoren mit Grafitkommutierung sind mit Durchmessern von 38 mm besonders kompakt und leicht. Durch die Konstruktion als Glockenankermotor mit der patentierten, freitragenden Rotorspule mit Schrägwicklung, die um einen ruhenden Magneten rotiert, kann fast der gesamte Motordurchmesser für die elektrische Spulenwicklung genutzt werden. Dadurch erreichen die Gleichstrommotoren im Verhältnis zu ihrer Größe und ihrem Gewicht höhere Leistungen und Drehmomente als konventionelle Ausführungen.
Für die Lenkbewegung der Räder sorgen vier bürstenlose Gleichstrommotoren der BXT-Serie mit passendem Getriebe. Sie liefern dank ihrer innovativen Wicklungstechnik und Auslegung ein besonders hohes Drehmoment von 10,2 mNm und das bei nur 14 mm Höhe und 22 mm Durchmesser. Ihre Leistung und ihr Wirkungsgrad übertreffen damit andere Gleichstrommotoren vergleichbarer Größe deutlich. Mit einer Drehzahl von bis zu 10.000 min-1 können sie die Lenkbewegung praktisch verzögerungsfrei umsetzen. Ihre integrierten digitalen Hallsensoren sorgen für eine sehr präzise Drehzahlregelung.
Hohe Anforderung an Antriebe
„Die Gleichstrommotoren müssen ziemlich hohe Anforderungen erfüllen“, erklärt Prof. Dr. Christian Bermes vom Institut für Laborautomation und Mechatronik der Hochschule für Technik Rapperswil (HSR). „Im und am Rollstuhl können wir keine klobigen Teile gebrauchen, wir versuchen also die Ausmaße der Module grundsätzlich zu minimieren. Das Gleiche gilt natürlich für das Gewicht – jedes Gramm weniger macht das Fahrzeug beweglicher und besser zu handhaben. Außerdem wollen wir keine Akkuleistung verschwenden, weshalb wir Antriebe mit höchstmöglichem Wirkungsgrad brauchen.“
Die Arbeit am Cybathlon-Boliden ist ein ingenieurwissenschaftliches Projekt. Das Rapperswiler Institut für Laborautomation und Mechatronik beschäftigt sich mit angewandter Forschung. Das Zusammenspiel von Elektronik und Mechanik, von Soft- und Hardware ist dort ein wesentlicher Schwerpunkt. Man arbeitet dabei eng mit Unternehmen sowie dem schweizerischen Forschungs- und Entwicklungsverbund Innosuisse zusammen. Der Wettbewerb ist quasi der Praxis-Härtetest für die entwickelten Technologien. „Insgesamt sind über alle Kategorien rund hundert Teams aus der ganzen Welt beteiligt. Da kommt eine enorme Entwicklungsleistung zusammen, von der Menschen mit Behinderung profitieren“, betont Prof. Bermes. „Das komplexe Zusammenspiel der Module lässt sich aber auch auf andere Bereiche übertragen, wie zum Beispiel Automation und Robotik.“
Sportsgeist entscheidet
Bei der Vorbereitung auf das jeweils nächste Rennen kommt zum technischen Anspruch noch ein entscheidender Faktor hinzu: Sportsgeist! Teamleiter Bermes selbst bezeichnet sich als sportbegeistert und Florian Hauser, der seit einem Motorradunfall querschnittsgelähmte Pilot des Cybathlon-Rollstuhls, ist ein ehrgeiziger Sportler, der beim Training und im Rennen alles gibt. Derselbe Geist herrscht im Team aus Bachelor- und Master-Studierenden und Ingenieuren. Sie alle wollen gewinnen. Bermes erklärt: „Es ist wie in der Formel 1: Wir versuchen die technischen Möglichkeiten komplett auszureizen. Zugleich muss das Material sehr robust und zuverlässig sein, damit es den schwierigen Parcours sicher bewältigt und das Rennen durchhält. Während der Fahrt ist es aber der Pilot, der die Leistung auf die Strecke bringt. Mit Florian haben wir dafür den perfekten Piloten im Cockpit.“
Bei einem anspruchsvollen Technologiewettstreit wie dem Cybathlon wachsen alle Beteiligten an ihren Aufgaben und versuchen immer wieder Grenzen zu überwinden. Das gilt für die Schweizer Entwickler an der HSR genauso wie für die deutschen Ingenieure bei Faulhaber in Schönaich. Dort nutzt man die Synergieeffekte aus den gesammelten Erfahrungen zum Beispiel für Optimierungen und die Entwicklung neuer Produkte in den Applikationsbereichen Human Augmentation und Prothetik. Von diesem Technologietransfer profitieren zuerst Applikationsingenieure und später Menschen mit Behinderungen weltweit. Ob myoelektrische Handprothesen, Arm- und Beinprothetik bis hin zu Exoskeletten und Workbots. Die Liste der Anwendungsbereiche, für die der Antriebsspezialist passende Antriebslösungen liefert ist lang. „Auch deshalb haben wir uns für die Antriebssysteme aus Schönaich entschieden,“ so Bermes abschließend.
Dieser Beitrag stammt von unserem Partnerportal Konstruktionspraxis.
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