Elektronische Patientenakte Mehrwert für die ePA

Ein Gastbeitrag von Dr. med. Oliver Miltner Lesedauer: 5 min

Anfang März versprach Bundesgesundheitsminister Prof. Dr. Karl Lauterbach den „Turbo-Schub“ für die Digitalisierung des deutschen Gesundheitssystems. Seitdem ist festgelegt: Die elektronische Patientenakte (ePA) kommt als Opt-out-Variante. Bis zum Start des neuen Jahres 2024 muss die Dateninfrastruktur in Kliniken und Arztpraxen implementiert sein.

Symptomcheck per App
Symptomcheck per App
(© Doctorbox)

Laut einer Studie des Bundesverbands der Arzneimittel-Hersteller (BAH) aus August 2022 sehen 74 Prozent der Deutschen in der ePA ein sinnvolles Tool, das die persönliche Versorgungssituation verbessern kann. Ärzte hingegen bleiben bislang verhalten. Seit der freiwilligen Einführung zum 1.1.2021 nutzten bislang nur 6 Prozent der Ärzteschaft die ePA. Lediglich rund 27 Prozent der Mediziner glauben, dass sie den Informationsfluss im Diagnoseverfahren verbessern kann. Das zeigen Zahlen einer gemeinsamen Studie des Bitkom und des Hartmannbundes aus Oktober 2022.

Die Skepsis der Ärzte ist durchaus begründet. Schließlich hat beim aktuellen Stand der ePA niemand einen wirklichen Mehrwert. Sie stellt eine Auflistung der Abrechnungsdaten der Krankenkassen dar, aber medizinisch wertvolle Informationen wie Röntgenbilder, detaillierte Befunde oder Labor­ergebnisse fehlen. Bis 2026 soll die ePA daher allerlei Zusatzfunk­tionen bekommen – staatlich entwickelt.

Doch die bisherigen Erfahrungen mit diesem Modell lassen nichts Gutes ahnen. Für nutzerfreund­liche Dienste ist der Staat schließlich nicht gerade bekannt – und erst recht nicht dafür, sie rasch zur Verfügung zu stellen. Ein anderes Modell wäre deutlich geeigneter: Der Staat sollte es dabei belassen, für die ePA nur die reine technische Infrastruktur zur Verfügung zu stellen, also Dinge wie die Datenspeicherung, Regelung der Zugriffsrechte und Standards für den Datenaustausch. Diese können dann privatwirtschaftliche Unternehmen nutzen, um anwenderfreundliche Dienste zu programmieren – sei es für Patienten, Ärzte oder andere Leistungserbringer.

ePA – lieber Infrastruktur als Plattform

Vergleichbar wäre das System dann etwa mit dem Straßennetz: Der Staat baut sowie unterhält es und legt die Nutzungsregeln fest. Aber nicht, wie die darauf fahrenden Autos oder Fahrräder aussehen und welche Läden sich an seinen Rändern niederlassen. So entsteht eine fruchtbare Ergänzung von staatlicher Infrastruktur für Gesundheitsdaten und darauf aufbauender Services, wie folgende Beispiele zeigen.

Medikationsmanager

Die kurzfristigen Maßnahmen des Staates beinhalten das digital unterstützte Medikationsmanagement. Bis Ende 2025 sollen demnach 80 Prozent der ePA-Nutzer mit mindestens einem Arzneimittel über eine digitale Medikationsübersicht verfügen. Mit ihr können behandelnde Ärztinnen und Ärzte sowie Apothekerinnen und Apotheker eine schnelle und aktuelle Übersicht über die Polypharmazie erhalten. Denn Arzneimitteltherapie ist hochkomplex, Gesundheitsversorger können nicht einfach um die 2.000 Wirkstoffe in 450.000 möglichen Kombinationen ohne elektronische Hilfe überblicken. Laut einer Erhebung der Barmer Krankenkasse von 2022 können jährlich rund 70.000 Todesfälle unter Polypharmazie-Patienten mit einem digitalen Medikationsmanagement vermieden werden. Aber warum so lange warten? Die einheitlichen Medikationsmanager von Gesundheitsunternehmen sind schon heute nutzbar. Und mit den zur Verfügung stehenden Daten können sie kurzfristig auf bestimmte Krankheiten spezialisierte Medikationsübersichten entwickeln, die die individuellen Bedürfnisse der Erkrankten besser ansprechen. Der staatliche Fokus sollte darauf liegen, das eRezept flächendeckend einzuführen, um die daraus entstehenden Daten in der ePA zur Verfügung zu stellen – damit privat entwickelte Medikationspläne ­darauf zurückgreifen können.

Symptomchecker

Digitale Symptomchecker auf Basis­ eines Entscheidungsbaumalgorithmus können die persönliche Erst­einschätzung eines Arztes nicht ersetzen. Allerdings können sie als Erstanlaufstelle für Patientinnen und Patienten wichtige Informationen zu ihrer Symptomatik und den Schweregrad, zum allgemeinen Gesundheitszustand und weiteren Risikofaktoren sammeln. So kann sich die behandelnde Ärztin schon vor der Konsultation einen ersten Überblick über das Anliegen des Patienten oder der Patientin machen. Zudem vermögen Symptomchecker auf Grundlage dieser Daten eine Vordiagnose zu erstellen, an der sich die Ärzte orientieren können. Heutige Tools sind schon jetzt gut für die Ersteinschätzung, mit dem Zugriff auf die Krankheitsgeschichten der Nutzer könnten sie deutlich verbessert werden. Doch der Staat hat eine Integration von Symptomcheckern in die ePA bislang nicht vorgesehen. Dabei ist ihr Nutzen unbestreitbar: Mediziner haben im Schnitt rund acht Minuten Zeit für die Erstellung einer Diagnose unter Anbetracht der gesamten Gesundheitsgeschichte. Symptomchecker können die Komplexität der Entscheidungen unter Zeitdruck entzerren.

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