Referentenentwurf des Gesundheitsministeriums Schuldzuweisung via Gesetz?

Von Chiara Maurer

Das Krankenhauspflegeentlastungsgesetz (KHPflEG) soll neben Maßnahmen zur Personalbemessung die Weiterentwicklung der digitalen medizinischen Versorgung regeln. Die Resonanz auf einen kürzlichen vorgelegten Entwurf ist jedoch verhalten, denn die Hersteller von IT-Komponenten für medizinische Einrichtungen kommen darin nicht gut weg.

Die Änderungen im Fünften Buch Sozialgesetzbuch stoßen nicht nur Herstellern von Praxis-IT sauer auf – auch einige Verbände zeigen sich wenig begeistert
Die Änderungen im Fünften Buch Sozialgesetzbuch stoßen nicht nur Herstellern von Praxis-IT sauer auf – auch einige Verbände zeigen sich wenig begeistert
(© Rawf8 – stock.adobe.com)

In einem Tweet stellt Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach fest: „Es wird Zeit, in der Pflege zu handeln.“ Ein Schritt in die richtige Richtung scheint da der kürzlich vorgelegte Gesetzentwurf des Bundesgesundheitsministeriums (BMG) mit dem ein wenig sperrigen Titel „Pflegepersonalbemessung im Krankenhaus sowie zur Anpassung weiterer Regelungen im Krankenhauswesen und in der Digitalisierung“, kurz Krankenhauspflegeentlastungsgesetz oder KHPflEG, zu sein.

Ziel des Entwurfs ist es, Vorgänge wie Personalbedarfsermittlungen, Budgetverhandlungen und Abrechnungsprüfungen zu optimieren, um so – wie im Koalitionsvertrag festgehalten – die Behandlungsqualität sowie die Arbeitssituation der Pflegekräfte zu verbessern.

Der Entwurf enthält zudem Maßnahmen zur Weiterentwicklung der digitalen und digital gestützten medizinischen Versorgung. Digitale Gesundheitsanwendungen (DiGA), die elektronische Patientenakte (ePA) und die elektronische Gesundheitskarte (eGK) werden durch verschiedene Änderungen und Ergänzungen des Fünften Buches Sozialgesetzbuch (SGB V) einbezogen.

Doch gerade diese Vorschläge stehen nun vielfach in der Kritik. Vorwürfe wie Wettbewerbsverzerrung und die unzulässige Einflussnahme auf die Therapiefreiheit stehen dabei im Raum.

SGB V – Was steht drin, was soll rein?

Seit seinem in Kraft treten am 1. Januar 1989 sind im SGB V fast alle Bestimmungen zur gesetzlichen Krankenversicherung in Deutschland zusammengefasst. So sollen die Krankenkassen ihren Versicherungsnehmern durch Aufklärung, Beratung und Leistungen dabei helfen, „den Eintritt von Krankheit und Behinderung zu vermeiden oder ihre Folgen zu überwinden“. Neben grundlegenden Spezifikationen zum versicherten Personenkreis und den Leistungen der Krankenversicherungen wurden in den vergangenen Jahren unter anderem Kapitel zur Telematikinfrastruktur (TI) und zur Interoperabilität ergänzt.

Daran knüpft der Entwurf des KHPflEG an. Der neue erweiterte § 332 SGB V, der sich mit den Anforderungen an die Wartung von Diensten der TI befasst, thematisiert die diskriminierungsfreie und für die Nutzer kostenfreie Einbindung von Komponenten und Diensten der Telematikinfrastruktur in die verwendeten IT-Komponenten. Verträge, die eine Implementierung fremder, durch die Gematik zugelassener Komponenten zwar ermöglichen, jedoch mit erheblichem Aufwand verbinden, sind demnach unzulässig. Die Anbieter werden also gezwungen, ihre IT-Anwendungen entsprechend interoperabel zu gestalten.

Außerdem sieht der überarbeitete § 332 Rahmenvereinbarungen der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV) mit Anbietern und Herstellern von IT-Systemen vor.

Auch neu ist § 361a SGB V. Darin geht es um die einwilligungsbasierte Übermittlung von Verordnungsdaten. Als Grundlage des eRezepts sollen diese künftig über eine Schnittstelle im eRezept-Dienst an DiGA, Krankenkassen, Apotheken sowie an Vertragsärzte und Krankenhäuser weitergeleitet werden können – vorausgesetzt der Patient wünscht dies. Ziel der Bereitstellung der Daten über eine solche, durch die Gematik zur Verfügung gestellten Schnittstelle ist es, Patienten auf individuelle Versorgungsangebote und therapiebegleitende Leistungen aufmerksam zu machen. Fristen und weitere Einzelheiten zur Datennutzung und -übermittlung würden vom BMG, dem Bundesbeauftragten für den Datenschutz und die Informationssicherheit sowie durch das Bundesinnenministerium (BMI) festgelegt werden.

„Ein klassisches Omnibusgesetz“ – bvitg

Der Bundesverband Gesundheits-IT (bvitg) spricht sich bereits seit Jahren als Vertreter der IT-Industrie für eine zielgerichtete Roadmap zur regelmäßigen Weiterentwicklung der Telematikinfrastruktur aus. Seine Mitglieder sind überzeugt davon, dass die digitale Medizin und die damit verbundene Optimierung der Versorgungsprozesse das Potenzial besitzen, die Versorgungsqualität und die Patientensicherheit maßgeblich zu verbessern. Gelingen kann das laut bvitg allerdings nur, wenn alle Akteure des Gesundheitswesens in die Konzipierung einer Roadmap eingeschlossen werden, um so sicherzustellen, dass gesetzliche Vorgaben realistisch umgesetzt werden können.

Der Idee des Gesetzentwurfs der Bundesregierung steht der Verband also grundsätzlich positiv gegenüber, moniert jedoch ihre Umsetzung im vorgelegten Entwurf. Zwar begrüße er prinzipiell die Förderung des Wettbewerbs und des freien Marktes im Praxis-IT-Umfeld, sähe jedoch nicht zum ersten Mal „den höchst problematischen Ansatz, wichtige marktrelevante Schlüsselkompetenzen und Aufgaben an Körperschaften des öffentlichen Rechts und (teil)staatliche Institutionen (wie die KBV) zu übertragen“. Zudem seien durch die weiteren Ergänzungen von § 332 ff Klein- und Mittelständler in ihrer Existenz bedroht, da durch die Regelung der für die Nutzer kostenfreien Implementierung, die Hersteller auf diesen sitzenblieben.

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Ebenso müssten Rahmenverträge für alle Marktteilnehmer diskriminierungsfrei angeboten werden. Für den bvitg ergeben sich aus § 332 des vorgelegten Entwurfs deswegen nicht nur rechtliche Bedenken, auch sehen sie eine drohende Wettbewerbsverzerrung.

Zudem wirft der bvitg dem Gesetzgeber vor, den benötigten Arbeitsaufwand der Integrationsaufgaben völlig falsch einzuschätzen. Denn während Fristen für eRezept & Co. nach hinten verlegt wurden, soll die Umsetzung wie zum Beispiel des § 332a binnen eines Jahres erfolgen – unverhältnismäßig, findet der Verband, da gerade die deutsche IT-Branche stark vom Fachkräftemangel betroffen ist.

Ebenfalls von Seiten des bvitg kommt die Forderung nach einer Überprüfung und Überarbeitung bestehender Vorgaben zu Medizinischen Informationsobjekten (MIOs). Sie seien elementare Voraussetzung für den Erfolg digitaler Versorgungsprozesse, weshalb der Verband eine Re-Evaluation begrüßen würde.

§ 361 schränkt nach Auffassung des Verbandes den Anbieterkreis für digitale Lösungen zum eRezept ein, da der Versand elektronischer Verordnungsdaten, nach Einwilligung des Patienten, lediglich an sechs explizit im Entwurf genannte Anbieter erfolgen kann. Innovative neue IT-Lösungen, die außerhalb dieses Regelungskreises entstehen würden so ignoriert werden, befürchtet der bvitg. Gefordert wird eine Öffnungsklausel, die eine Anbindung Dritter an die Telematikinfrastruktur ermögliche.

Der bvitg kritisiert auch, dass der Gesetzentwurf nicht nur ein „klassisches Omnibusgesetz, das eine Vielzahl von Regelungen beinhaltet, die keinen unmittelbaren Bezug zum Krankenhaus bzw. der Krankenhauspflegeentlastungen besitzen“ sei. Der Entwurf ergreife auch nicht die Chance, „Anreize für digitale Innovationen in der Pflege zu schaffen“.

Um den Druck aus der angespannten Personalsituation in den Pflegeeinrichtungen zu nehmen, müsse der verfolgte Ansatz von Anfang bis Ende digital gedacht werden. Eine solche Forderung entspräche dabei auch der Digitalisierungsstrategie der Bundesregierung.

„Keine Berücksichtigung des Angebots digitaler Versorgung“ – SVDGV

Der Spitzenverband Digitale Gesundheitsvorsorge e.V. (SVDGV), Branchenvertreter der Hersteller Digitaler Gesundheitsanwendungen, fordert, dass die Verordnung von DiGA künftig weiter in den Vordergrund rückt. So geht der Verband mit dem § 332 weitestgehend konform, ist jedoch der Auffassung, die digitale Gesundheitsversorgung bleibe unberücksichtigt. Unzulässige Beschränkungen durch Anbieter seien in jedem Fall zu untersagen, jedoch müssten Bestimmungen hinsichtlich der aktuellen und künftigen Versorgung mit DiGA ergänzt werden. Diese sollen regulieren, dass Versicherte über die vielfältigen Bezugsmöglichkeiten informiert werden und die Verordnung von DiGA über das entsprechende Musterrezept (Muster-16-Rezept) erfolgen kann.

Auch soll ein herstellerunabhängiges und werbefreies Verzeichnis zugelassener DiGA in elektronische Verordnungsprogramme integriert werden. Grund dafür ist die Auffassung des SVDGV, Anbieter und Hersteller informationstechnischer Software würden das bestehende Angebot zur digitalen Versorgung „nicht flächendeckend und nicht mit allen verordnungsrelevanten Informationen berücksichtigen“.

Weiter erkennt der Verband, ähnlich wie auch der bvitg, die Notwendigkeit von einheitlichen, aufeinander abgestimmten Vorgaben zur Interoperabilität. Laut § 354 Absatz 6 SGB V hätte die Gematik bis zum 1. Januar 2022 Anforderungen an die Interoperabilität von DiGA formulieren sollen, um Daten über eine Schnittstelle in die ePA überführen zu können. Da dies nicht im Einklang mit dem Gematik-Konzept zur ePA 2.0 geschehen sei, würden die entstandenen widersprüchlichen Vorgaben den Investitionsbedarf der Hersteller erhöhen. Um das Problem zu beheben und Vorgaben zu vereinheitlichen, schlägt der Verband eine Fristverlängerung von einem Jahr vor. Dadurch müssten auch Fristen zur Festlegung von Schnittstellen und zu digitalen Identitäten (gemäß der Digitale Gesundheitsanwendungen-Verordnung) entsprechend in die Zukunft verschoben werden, um den Herstellern so genug Zeit zu geben, ihre Anwendungen den notwendigen Zertifizierungs- und Dokumentationsprozessen zu unterziehen.

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